Erste Klavierbaumeisterin Südamerikas Die Musik verwandelte ihr Leben

Saarbrücken · Wenn jemand weiß, was Armut ist, dann sie. Und obwohl sie quasi ohne Perspektiven aufwuchs, hat Romina Tobar eine bewundernswerte Karriere geschafft: Die gebürtige Chilenin ist die erste Klavierbaumeisterin Lateinamerikas.

 Die Wahl-Saarbrückerin Romina Tobar ist die erste und einzige Klavierbaumeisterin Lateinamerikas.

Die Wahl-Saarbrückerin Romina Tobar ist die erste und einzige Klavierbaumeisterin Lateinamerikas.

Foto: Kerstin Krämer

Geboren wurde sie 1979, mitten in der chilenischen Militärdiktatur. Ihre Eltern schufteten als ausgebeutete Tagelöhner für einen Großgrundbesitzer, die Tochter packte mit an. „Alkohol und Drogen waren ständige Begleiter des armen Teils der Bevölkerung“, erinnert sich Romina Tobar an ihre harte Kindheit in Chile. Die Familie hauste in einer Hütte ohne Leitungswasser und musste auch in den bitterkalten chilenischen Wintern ohne Heizung auskommen.

Was sie für die Schule brauchte, hatte Tobar sich selbst zu erarbeiten. „Da gehst du hin in der Hoffnung, irgendwann auf die Uni gehen zu können. Aber aus meiner Generation hat das nur einer geschafft“, erzählt Tobar. In der Diktatur waren viele Bereiche privatisiert, die Universität kostete viel Geld. All das erschien Tobar damals als Selbstverständlichkeit, ebenso die schlechte medizinische Versorgung.

Rückblickend jedoch macht es sie ziemlich wütend, zumal sie es als Mädchen und Frau doppelt schwer hatte – verschärft dadurch, dass sie sich schon früh gegen gesellschaftliche Zwänge auflehnte: Romina Tobar spielte leidenschaftlich gern Fußball, was ihr die Ächtung des ganzen Dorfes einbrachte, und wollte weder kochen noch Wäsche waschen. „Nicht für Männer jedenfalls.“

Ein Stipendium scheiterte trotz guter Noten an der chilenischen Gesetzgebung: Einzelkinder wurden dort damals nicht gefördert. Dennoch besuchte sie das Gymnasium. Das bedeutete, um vier Uhr morgens aufzustehen, mit dem Fahrrad sieben Kilometer zur Haltestelle zu strampeln und mit dem (kostenlosen) Bus weitere 40 Kilometer zurückzulegen. Im Notfall durfte sie in Sportsachen am Unterricht teilnehmen: Wenn ihre Schuluniform vom Regen aufgeweicht war, trocknete sie im klammen Zuhause nicht.

Die Wende in Tobars Leben kam mit einem Disko-Besuch in der Nachbarstadt. Das war nicht ungefährlich: Weibliche Gäste hatten Busfahrt, Eintritt und Getränke frei; die Absicht der Disko-Besitzer war recht durchsichtig. Doch Tobar hatte Glück und lernte in der Disco keine zwielichtigen Gestalten kennen, sondern ihren späteren Mann Miguel. Er war ein DDR-Kind, Sohn eines Exil-Chilenen, der nach dem Ende der Diktatur in seine Heimat zurückgekehrt war. Als man im Jahr 1996 Tobars Schwiegervater in spe nach dem Leben trachtete und er nach St. Ingbert emigrierte, wo er Verwandtschaft hatte, wollten seine Kinder zunächst nicht nachziehen. Sie trauerten der DDR hinterher.

Erst 1998 folgten Tobar, die umständehalber die Schule abbrechen musste, und ihr Mann ihm nach. Von Deutschland war Tobar zum Entsetzen ihres Gatten „positiv geschockt“. Tobar: „Damals wurde ich skeptisch. Ich interessierte mich für Politik und Menschenrechte, trat aus der Kirche aus und war wild entschlossen, meine Chance auf einen Neustart zu nutzen.“ Doch auch dieser Weg war mit Steinen gepflastert. Einen Deutschkurs bekam sie nicht bezahlt, weil sie mit einem Deutschen verheiratet war. Ihre Wunschausbildung – etwas Handwerkliches, Technisches – scheiterte daran, dass ihr nur der Hauptschulabschluss anerkannt wurde.

Jahrelang hielt sie sich mit diversen Jobs über Wasser; mit der Integration aber klappte es, auch dank ihrer Mitgliedschaft in einer St. Ingberter Damen-Fußballmannschaft, relativ schnell. Nach dem Ende ihrer Ehe lernte Tobar ihren heutigen Lebensgefährten kennen, den chilenischen Komponisten und Musiker Daniel Osorio. Er ermunterte sie nicht nur zum aktiven Musizieren, sondern öffnete ihr auch die Türen zur Hochschule für Musik Saar (HfM). Nach einem Praktikum in der Instrumentenwerkstatt begann Tobar dort 2007 ihre Ausbildung als Klavierbauerin, setzte sie am Pianohaus Landt in Dillingen fort und machte auf dem zweiten Bildungsweg jetzt im August ihren Meister als Klavier- und Cembalobauerin – an der weltweit einzigen Klavierbau-Meisterschule in Ludwigsburg.

Seit einem Monat pendelt Tobar nun von Saarbrücken nach München, weil sie eine Stelle beim Bayerischen Rundfunk hat. Für das Duo „Musikandes“ mit Osorio hat sie jedoch weiterhin Zeit. Und für die vierte Ausgabe von „EviMus“ (Festival für elektro-akustische und visuelle Musik, 2. bis 5. November), das sie 2014 mit Osorio ins Leben rief, nimmt sie sich Urlaub. Doch zunächst stellt sie in einem moderierten Frauen-Konzert ihr Meisterstück vor, ein selbst gebautes Klavier. Die Pianistin María Paz Santibañez, ebenfalls Chilenin, Überlebende der Pinochet-Diktatur und Kulturbeauftragte der chilenischen Regierung in Paris, spielt unter anderem Werke von Debussy und Stockhausen sowie von südamerikanischen Komponisten.

 „Mujeres en resonancia“: Samstag, 7. Oktober, 19 Uhr, HfM-Konzertsaal.

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