Kirche Diamanten des himmlischen Jerusalem

Saarbrücken · In der Serie „Saarbrücker Geheimnisse“ stellen wir Kurioses und Wissenswertes aus der Landeshauptstadt vor.

 Wolfgang Peters hat sich intensiv mit der Kirche St. Michael beschäftigt.

Wolfgang Peters hat sich intensiv mit der Kirche St. Michael beschäftigt.

Foto: Bast

Mitten in Saarbrücken leuchtet ein Diamant über der Stadt. Genauer gesagt sind es zwei Diamanten – und zwar ganz besondere. „Es sind die Diamanten des himmlischen Jerusalem“, hat Wolfgang Peters, Diplom-Übersetzer und Lehrbeauftragter an der Universität des Saarlands, herausgefunden. Freilich sind es keine echten, sondern symbolische Edelsteine: Dreifach abgestuft aus Eisenbeton und mit Kupferdächern versehen, krönen sie die beiden Türme der katholischen Kirche St. Michael.

Als Wolfgang Peters seine Arbeit für ein Buch über die Michaelskirche aufnahm, fand er heraus, dass sich deren Architekt Hans Herkommer und der Stadtplaner Bruno Taut gut gekannt haben: „Die beiden haben zwei Jahre zusammen bei dem protestantischen Baumeister Theodor Fischer an der Technischen Hochschule Stuttgart studiert.“ Und da fiel es ihm wie Schuppen von den Augen: „Herkommer war – durch Taut – mit der Konzeption des kristallinen Expressionismus vertraut“, folgert er. Wolfgang Peters kennt auch ein Zitat von Bruno Taut, der 1919 in seiner Schrift „Die Stadtkrone“ meinte: „Es muss auch heute wie beim alten Stadtbilde sein, dass das Höchste, die Krone, sich im religiösen Bauwerk verkörpert. Das Gotteshaus bleibt wohl für alle Zeiten der Bau, zu dem wir immer hinstreben, der unser tiefes Gefühl den Menschen und der Welt gegenüber tragen kann.“

Tauts Stadtkrone, erklärt Peters in seinem 2014 erschienenen Buch „Die Pfarrkirche St. Michael in Saarbrücken: Stadtkrone und Engelskirche“, habe „das kulturelle Zentrum einer neuen, säkularen Stadt mit Theatern, Museen und einem Kristallhaus in der Mitte werden“ sollen. Herkommer hingegen habe für die moderne Industriestadt Saarbrücken das ursprüngliche Anliegen Tauts eines neuen monumentalen Gotteshauses aufgegriffen. Die Zutaten dazu: eine massige Silhouette, einfache Umrisse, grobes Mauerwerk. Eine Formensprache, die immer wieder expressionistische Elemente verwendet.

„Die Turmhelme mit ihren kristallinen Spitzen, Epiphaniekreuz und Dreiecke als Symbol für die Dreifaltigkeit“, nennt Peters einige Beispiele, die man an der St. Michaelskirche entdecken kann. In seinem Buch schreibt er: „So finden sich reichlich Elemente des kristallinen Expressionismus mit seinen gezackten Figuren des Trapezes, Sterns und Dreiecks am Außenbau und im Innenraum von St. Michael wieder […]. Die Turmhelme können als Kristalle im Sinne des Phantasten Scheerbart und Taut wie des Propheten Jesaja interpretiert werden.“

Denn Tauts Idee der „Stadtkrone“ gründe „ikonographisch auf biblischen Texten“. Er habe sich auf Stücke des Propheten Haggai über den „Wiederaufbau des Tempels“ und aus der Offenbarung des Johannes über „Das messianische Jerusalem“ bezogen. In Offenbarung 21,10-11 steht geschrieben: „Und er führte mich hin im Geist auf einen großen und hohen Berg und zeigte mir die heilige Stadt Jerusalem hernieder kommen aus dem Himmel von Gott, die hatte die Herrlichkeit Gottes; ihr Leuchten war gleich dem alleredelsten Stein, einem Jaspis, klar wie Kristall.“ Auch auf Jesaia 54,12 habe er sich bezogen: „Aus Rubinen mache ich deine Zinnen, aus Beryll deine Tore und alle deine Mauern aus kostbaren Steinen.“

Und tatsächlich, wenn das Sonnenlicht am frühen Abend von Westen durch die Dreiecksöffnungen der Turmspitzen hindurchscheint, leuchten diese von innen wie Edelsteine. Tauts Studienfreund Hans Herkommer habe also versucht, „die Konzeption der ‚Stadtkrone‘ auf die Architektur und Ausgestaltung der Kirche St. Michael zu übertragen und damit eine Synthese aus expressionistischem Gedankengut und christlicher Heilslehre herzustellen, wo sich die abstrakt-religiösen Vorstellungen einiger Expressionisten und die dogmatische Lehre der katholischen Kirche doch angeblich unversöhnlich gegenüberstanden“, schreibt Peters.

Kurzum: Er hat das Gotteshaus – ähnlich wie in der Gotik – als „himmlisches Jerusalem“ konzipiert. All das, sagt Wolfgang Peters, müsse man natürlich vor dem Hintergrund der Zeit sehen, in der das Gotteshaus gebaut wurde. 1899 wurde mit der Planung der Kirche begonnen. Doch erst 14 Jahre später, 1913, kam es zu dem Architektenwettbewerb, bei dem sich Herkommer, im zarten Alter von 26 Jahren, gegen 172 Mitbewerber durchsetzte. Dann stürzte der Erste Weltkrieg Deutschland ins Chaos, und auch in Saarbrücken hatte man andere Sorgen als den Bau einer Kirche. Die Grundsteinlegung erfolgte 1923, fünf Jahre nach Kriegsende. Schließlich ging es flott, am 27. September 1924 wurde das Gotteshaus bereits geweiht. Seitdem strahlen die beiden Kristalle des himmlischen Jerusalem über der Stadt. Und das hat eben gerade vor dem Hintergrund der Bauzeit eine tiefe Bedeutung.

Denn das „himmlische Jerusalem“ aus der Offenbarung ist eine Vision, nach der am Ende einer Apokalypse eine neue Stadt, ein neues Jerusalem, entstehen wird. Und eine Apokalypse hatte Saarbrücken, hatte die ganze Welt mit dem Ersten Weltkrieg gerade hinter sich gebracht. Allein: Eine weitere – der Zweite Weltkrieg – sollte wenige Jahre später folgen. Da wirken die Worte Hans Herkommers in der Festschrift zur Einweihung der St. Michaelskirche 1924 heilsam: „Wenn es für die schöpferischen Kräfte immer schwer sein wird, ihre Zeit in abstrakter Form widerzuspiegeln, so dürfte dies heute um so mehr der Fall sein, weil Verworrenheit und Zerfahrenheit auf allen Gebieten herrschen. […]Es handelt sich nun nicht darum, welche der Auffassungen die bessere oder richtigere ist, sondern darum, dem Kern beider Erscheinungen nachzuspüren, beiden gerecht zu werden, beiden Schranken zu geben, beiden ein Feld der Betätigung zuzuweisen und somit aus dem ursprünglichen Gegensatz eine Einheit zu bilden.“

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