Armut in Saarbrücken „Ich halte dieses Leben nicht mehr aus“

Saarbrücken · DGB und Arbeitskammer fordern radikale Kehrtwende in der Wohnungspolitik. Mancher arme Rentner ist am Verzweifeln.

 Beate Philippi und Jürgen Thiele brauchten Jahrzehnte, um eine kleine bezahlbare Wohnung in Saarbrücken zu finden.

Beate Philippi und Jürgen Thiele brauchten Jahrzehnte, um eine kleine bezahlbare Wohnung in Saarbrücken zu finden.

Foto: Iris Maria Maurer

Die Mieten steigen, und bezahlbare Wohnungen sind knapp. Wer kein Geld hat, geht leer aus. Wie hart ein Leben in Armut ist, berichtete Jürgen Thiele. Er hat rund zehn Jahre auf der Straße gelebt, dann aber aus eigener Kraft eine Wohnung gefunden. Als er dies stolz einem Mitarbeiter Abteilung für Leute ohne festen Wohnsitz beim Saarbrücker Jobcenter mitteilte, bekam er zu hören: „Es gibt Wichtigeres als eine Wohnung, nämlich Arbeit.“ Thiele empört das bis heute: „Die reden einem ein, du bist selber schuld. Sieh’ zu, wie du klarkommst.“ Beate Philippi lebte 20 Jahre „unter der Brücke“ wie sie selbst sagte. Dann habe man ihr eine Ein-Zimmer-Wohnung in Burbach vermittelt, aber ohne Heizung. „Im Winter war es bitterkalt, ich habe nur gefroren.“ Es habe Jahre gedauert, eine neue, kleine Wohnung auf dem Saarbrücker Eschberg zu finden. Geradezu dramatisch stellt sich die Situation eines SZ-Lesers dar, der nicht genannt werden will. „Ich halte dieses menschenunwürdige Leben nicht mehr aus“, teilte er der Redaktion in einer E-Mail mit. „Ich erhalte monatlich 870 Euro Rente. Davon zahle ich 500 Euro Warmmiete. Dazu kommen noch rund 50 Euro Strompauschale plus 13 Euro Telefon und elf Euro Internet im Monat. Wie so oft muss ich ab heute hungern, da ich keine Lebensmittel mehr habe.“ Die letzte Mieterhöhung war vor einem Jahr.Der Strompreis steigt auch wieder mal nächstes Jahr.

Weiter schrieb er: „Abgesehen davon, dass ich Lebensmitteltafeln absolut ablehne, liegt diese über zwölf Kilometer weit entfernt.“ Die Situation blieb nicht ohne Folgen: „Anfang März hatte ich einen Herzinfarkt, für die vielen Medikamentenzuzahlungen – ich wurde erst befreit – nachdem ich 120 Euro gezahlt hatte, musste ich mir diese Summe leihen, die ich immer noch in Raten abzahle.“

Angesichts solcher Schicksale ordern Thomas Schulz vom Deutschen Gewerkschaftsbund (DB) Saar und Dagmar Ertl von der saarländischen Arbeitskammer „eine fundamentale Kehrtwende“ in der Wohnungsbaupolitik im Saarland. „Wir müssen den kommunalen Wohunngsbau stärken, statt die Privatisierung der Daseinsfürsorge zuzulassen“, sagten beide bei der Veranstaltung des DGB „Wohnen darf kein Luxus sein“ in der saarländischen Arbeitskammer. Im Saarland und speziell in Saarbrücken gebe es eine hohe Nachfrage nach bezahlbaren Wohnungen, das Angebot sei aber klein. Vor allem kleine Wohnungen seien begehrt, was auf die Zunahme von Studenten und alleinstehenden Rentnerinnen und Rentner zurückgehe.

Seit der Föderalismusreform von 2017 sind die Länder für den sozialen Wohnungsbau zuständig. Im Zeitraum von 2014 bis 2016 sei im Saarland aber keine einzige Neubauwohnung gefördert worden. Nach einer Studie der gewerkschaftsnahen Hans-Böckler-Stiftung fehlen 17 000 Sozialwohnungen. Den Angaben des DGB zufolge gab es 2005 im Saarland noch 5000 mietpreisgebundene Sozialwohnungen, derzeit sind es demnach noch 701.

Nach Angaben von Manfred Klasen, dem Vorsitzenden der saarländischen Armutskonferenz, gibt es im Saarland im Schnitt auf 1000 Einwohner berechnet genau eine mit Wohnung mit Mietpreisbindung. Für Klasen ist das ein „Skandal“. In Hamburg, dem bundesweiten Spitzenreiter, sind es 48, in Rheinland-Pfalz 16. „45 Prozent des Einkommens gehen hierzulande für die Miete drauf“, sagt Dagmar Ertl. Wer von Transferleistungen wie Hartz IV lebt, hat es besonders schwer, über die Runden zu kommen. In Saarbrücken beträgt der Regelsatz für eine Wohnung 380,7 Euro. So billige Wohnungen gibt es kaum, sodass die Bewohner von 4284 Haushalten Geld dazuschießen, um die Miete bezahlen zu können. Geld, das ihnen an anderer Stelle fehlt. Im Frühjahr soll es Klasens Angaben zufolge neue Regelsätze geben.

Für ihn ist der Sachverhalt klar: „Die Leute werden noch ärmer, als sie durch Hartz IV schon sind.“ Die tatsächlichen Wohnkosten müssten vom Jobcenter oder Sozialamt komplett übernommen werden, fordert Klasen.

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