„Der Tanz des Dschingis Cohn“ hat Premiere im TiV Wenn ein jüdischer Quälgeist den Nazi heimsucht

Saarbrücken · So eine Geschichte kommt in Saarbrücken auch nicht alle Tage auf die Bühne: Peter Tiefenbrunner erarbeitet als freie Produktion einen nahezu vergessenen Text von Romain Gary. Die Geschichte von „Dschingis Cohn“ hat am 8. Oktober Premiere.

 Darf man über die Shoa lachen? - Im Theater im Viertel stellt sich die Frage, wenn „Dschingis Cohn“ Premiere hat. Es spielen Peter Tiefenbrunner (links) und Sebastian Müller-Bech.

Darf man über die Shoa lachen? - Im Theater im Viertel stellt sich die Frage, wenn „Dschingis Cohn“ Premiere hat. Es spielen Peter Tiefenbrunner (links) und Sebastian Müller-Bech.

Foto: Laffiteau/jean m. laffitau

Man kann es kaum glauben. Gleich zweimal hat Romain Gary den berühmten Prix Goncourt bekommen. Kein anderer Autor vor und nach ihm schaffte das. Und doch ist eines der Bücher dieses Weltbestseller-Autors, eines das sogar verfilmt wurde – mit einem sehr jungen Daniel Craig übrigens –, dieses Buch jedenfalls ist in Deutschland nicht mehr aufzutreiben: Vergriffen, nicht mehr aufgelegt, in Vergessenheit geraten ist „Der Tanz des Dschingis Cohn“.

Dabei wagt dieser Roman etwas Unerhörtes. Jahrzehnte bevor ein Film wie „Das Leben ist schön“ möglich wurde, in den 1960-Jahren nämlich, knallte der Jude Gary seinen Lesern eine bitterböse, urkomische Geschichte über Nazis und jüdische „Dibbuks“ (Totengeister) auf den Tisch, forderte sie auf, über den Holocaust (auch) zu lachen.

„Darf man über die Shoa lachen?“, war dann auch sinngemäß Thema eines Vortrags, den die Saarbrücker Germanistik-Professorin Christiane Solte-Gresser vor über zwei Jahren im Rahmen der öffentlichen Ring-Vorlesungen der Uni im Rathaus-Festsaal hielt. Und eines der Beispiele, die sie mitgebracht hatte, war Romain Gary mit seinem „Dschingis Cohn“.

Im Publikum saß ein gewisser Peter Tiefenbrunner, Schauspieler, Autor und Kabarettist aus Saarbrücken. Der hatte gerade höchst erfolgreich die Revue „Swing Heil“ auf die Bühne gebracht, eine musikalische Erinnerung an die so genannten Swing Kids, die von den Nazis ins KZ gesteckt wurden, weil sie Jazz hörten. Von „Dschingis Cohn“ hatte er noch nie gehört.

„Boa, das ist es, das muss ich bearbeiten!“, sei sein erster Gedanke gewesen, erzählt er beim Besuch in der Redaktion. Er war sofort elektrisiert, „der Roman sprang mich an“. Denn nach „Swing Heil“ war sein Interesse an Stoffen, die sich mit dem Nationalsozialismus befassen, sowieso geweckt. Sein erster logischer Schritt: „Ich kaufe das Buch“. Und da fingen die Schwierigkeiten schon an. „Es war total vergriffen“. Selbst antiquarisch war es kaum zu bekommen, „und wenn, dann zu Fantasie-Preisen“. Nach langer Suche konnte Tiefenbrunner schließlich ein Exemplar in einer Unibibliothek ausleihen „das habe ich Seite für Seite kopiert, es ist bis heute unser einziges Exemplar“.

Alles gut also? Nein. „Dann kam Corona“, sagt er. „Und dann hatte ich meinen Schlaganfall“. Der hielt den Schauspieler eine Weile von der Bühne fern. Er musste erstmal wieder gesund werden. Ein paar Beeinträchtigungen, meint er freimütig, gäbe es schon noch. „Ich kann zum Beispiel nicht wütend aufstehen“, weil er sich eben noch langsamer bewegen müsse als früher. Im „Dschingis Cohn“ haben er und seine Lebensgefährtin Barbara Scheck, die die Regie übernommen hat, das praktisch gelöst. Tiefenbrunner spielt einen einstigen Nazi nach dem Krieg, also hat der einfach eine Kriegsverletzung. „Jetzt muss mich Barbara manchmal daran erinnern, zu hinken“, sagt er und schmunzelt. Weil die Erfolge der Reha sich nicht ans Inszenierungs-Tempo halten.

Aber worum geht es nun eigentlich in „Der Tanz des Dschingis Cohn“? Die Handlung spielt in den 1960er-Jahren, einer Zeit also, in der Deutschland noch sehr weit davon entfernt war, sich seiner Nazi-Vergangenheit zu stellen. In einer deutschen Kleinstadt lebt Polizeikommissar Schatz. Der war früher SS-Mann im KZ, war also ein Mörder im Holocaust. Eines seiner Opfer ist der jüdische Komiker Moische „Dschingis“ Cohn. Und der fährt eines Tages als „Seelenparasit“ in seinen Mörder. Ein Dybbuk, ein böser Geist, der fortan – ungesehen von der Umwelt – den Kommissar heimsucht.

Der hat aber eigentlich gerade eine sehr mysteriöse Mord-Serie aufzuklären. Im Wald der Kleinstadt werden nämlich immer mehr männliche Leichen gefunden, „von hinten erstochen, ohne Hose, mit glücklichem Lächeln im Gesicht“. Hat da womöglich die geheimnisvolle und irgendwie wohl nymphomane Baronin Lily (im Film übrigens gespielt von Diana Rigg) ihre Hände im Spiel? „Die Figur der Lily ist“, erklärt Tiefenbrunner, „eine Allegorie auf die Menschheit“. Lily verkörpert die Menschheit, die vergebens auf Befriedigung wartet, obwohl über die Jahrtausende schon so viele ihr Glück versucht haben. Da kann man schon mal mörderisch wütend werden.

„Ich bin sehr gespannt“, sagt Peter Tiefenbrunner, „wie das alles aufgenommen wird“. Denn Romain Gary spart in seinem bitterbösen Märchen nicht mit Bosheiten, sein Humor ist sehr schwarz. „Garys Walpurgisnacht-Schwank“, schrieb „Der Spiegel“ seinerzeit in einer Besprechung, „gleicht vielleicht sogar einem Faust II – in der Bearbeitung der Marx Brothers“.

Für ihre Inszenierung haben Barbara Scheck und Peter Tiefenbrunner die ganze, komplexe Geschichte reduziert auf die Figuren des Schatz (den Tiefenbrunner selbst spielt) und des Dschings Cohn, die Rolle übernimmt Sebastian Müller-Bech. Alle anderen Handlungsstränge werden durch Hörspiel-Elemente eingespielt. Und: „Ich habe bewusst nicht aktualisiert“, sagt Tiefenbrunner. Umso erschütternder sei, wie aktuell der Text ist. Wenn da zum Beispiel vom Erstarken einer neonazistischen Partei die Rede ist. NPD hieß die damals noch.

Premiere von „Der Tanz des Dschingis Cohn“ ist am Samstag, 8. Oktober, 19.30 Uhr, im Theater im Viertel am Landwehrplatz. Weitere Termine am 16. Oktober, 17 Uhr, und am 21. Oktober, 19.30 Uhr. Infos und Karten: www.dastiv.de

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