Free Jazz in Saarbrücken Spitzenmusiker beim Free Jazz-Festival

Saarbrücken · Das Publikum feierte den Musikstil in Saarbrücken. Der Ukraine-Krieg hinterließ indes auch hier Spuren.

 Das Trio The Escalator musste seinen ukrainischen Bassisten ersetzen, weil er in den Krieg ziehen musste.

Das Trio The Escalator musste seinen ukrainischen Bassisten ersetzen, weil er in den Krieg ziehen musste.

Foto: Sebastian Dingler

Mit dem Free Jazz ist es immer so eine Sache: Die große Mehrheit kann mit diesem Musikstil nichts anfangen, lehnt ihn bisweilen sogar vehement ab. Dafür sind die eher wenigen Free Jazz-Liebhaber umso begeisterter davon. In Saarbrücken hat sich seit sechs Jahren ein Festival für diesen Stil etabliert, das mittlerweile auch europaweit wahrgenommen wird und Fans von weit her anzieht.

Zentrale Figur der saarländischen Szene ist der Posaunist und Komponist Christof Thewes. Er startete ganz klein mit einem Festival, das mehr oder weniger für seine eigenen Formationen vorgesehen war. Außerdem spielte der Trotz eine Rolle: „Es hieß immer, wenn Free Jazz auf einem Plakat steht, dann kommt niemand. Ich wollte zeigen, dass es trotzdem funktioniert.“ Das Festival wuchs und wurde internationaler. Organisiert wird es jetzt von einem Team um Stefan Winkler, der sein Herzblut hineinsteckt. Finanziell unterstützt wird er vom Kultusministerium, von der Stadt Saarbrücken, vom Saarländischen Rundfunk, der Heinrich Böll-Stiftung und von privaten Sponsoren. Thewes ist noch als Musiker dabei – bei der jetzigen Ausgabe, die von Mittwoch bis Sonntag über die Bühne ging, spielte er an zwei Tagen.

Nach dem Prolog im Kino Achteinhalb mit dem Ada Rave Trio und der Dokumentation über den Schlagzeuger Sunny Murray hatte es der Auftakt am Donnerstag in sich: Da erschien der deutsche Fixpunkt der Szene, Pianist Alexander von Schlippenbach, und zwar an seinem 84. Geburtstag. Im Garellyhaus trat er zunächst mit zwei weiteren Altmeistern auf, nämlich Barry Altschul am Schlagzeug und Joe Fonda am Bass. Danach vereinigte sich dieses Trio mit dem amerikanischen Saxofonisten Jon Irabagon sowie den Saarländern Martin Schmidt (Mandoline), Hartmut Oßwald (Saxofon), Daniel Schmitz (Trompete) und eben Thewes zu einem Oktett. Für Thewes war von Schlippenbach ein „Aha-Erlebnis“, als der Saarländer gerade mal elf Jahre alt war. „Da habe ich seine Platte Globe Unity von 1966 in die Hände bekommen. Mich hat diese Musik umgeworfen. Schlippenbach ist für mich ein ganz Großer.“

Der Grandseigneur des Free Jazz sagte, es sei ein schönes Geburtstagsgeschenk gewesen, mit Altschul und Fonda zu spielen. Für ihn ist die Definition dieses Musikstils „ganz einfach: Es ist Jazz außerhalb der traditionellen und konventionellen Parameter wie Liedformen und Harmonieschemen.“ Die Finger des Pianisten flogen immer noch sehr flink über die Tastatur, manchmal sang er auch mit. Die drei Senioren erzeugten ein angenehmes Klangbild. 

Der nächste Festivaltag im Gemeindezentrum Alte Kirche am St. Johanner Markt wartete mit zwei Überraschungen auf: So spielte das Trio The 3Dom Factor zum Teil erkennbare Rhythmen, zumindest Altschul, der dort auch am Schlagzeug saß, tat das. Aber wieso soll das nicht erlaubt sein bei einer Musikform, die sich die größtmögliche Freiheit auf die Fahnen geschrieben hat? Der nächste Aufreger: Das Trio Fish Scale von Ab Baars (Saxofon und Klarinette), Kaja Draksler (Piano) und Joe Williamson (Kontrabass) hatte doch tatsächlich Notenständer mitgebracht, auf denen erkennbar auch Papiere lagen. Und so hatte der Vortrag dann auch viel von der Neuen Musik, wenngleich Free Jazz-Passagen darin vorkamen. Darin blies Baars mit großer Kraft die höchsten Töne des Saxofons an – das kam unangenehm lärmend ins Ohr und ließ an jene Menschen denken, die einen weiten Bogen um diese Musik machen. An der Klarinette blieb der Holländer ruhiger, das Trio spielte bisweilen gar verträumte Passagen. Die 120 Zuhörer spendeten langen Applaus, verlangten aber nicht nach einer Zugabe wie zuvor bei The 3Dom Factor.

Dass der Ukraine-Krieg sich auf ein Free Jazz-Festival auswirken könnte, klingt unwahrscheinlich, war aber traurige Wahrheit: Kontrabassist Mark Tokar, der mit Ken Vandermark (Saxofon) und Klaus Kugel (Schlagzeug) das Trio The Escalators bildet, musste als ukrainischer Reserveoffizier in den Krieg ziehen. Zumindest konnte Ersatz für ihn gefunden werden. Wenn es nicht so widersprüchlich klänge, würde man den Sound des Trios als konventionellen Free Jazz bezeichnen. Erstaunlich war am Festival der starke Zuspruch, den es genoss. Nur eines fiel auf: Unter den Zuschauern waren kaum Frauen. Das bemerkte auch von Schlippenbach. „Vielleicht ist es Männermusik“, meinte er.

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