Porträt Von Zwergen, Mäusen und dem Schicksal

Saarbrücken · Detlef Kraemer, Rückgrat des Saarbrücker Kinder- und Jugendtheaters Überzwerg, geht in Rente. Eine Begegnung mit einem, der 40 Jahre lang die saarländische Theaterszene begleitet hat.

 Ein Kultstück, für das der Theater-Geschäftsführer sich Eselsohren anlegte: „Ox & Esel“. Das Krippenspiel der Überzwerge mit Detlef Kraemer als Esel und Bog Ziegenbalg als Ochse, war viele Jahre vor Weihnachten der absolute Renner. Irgendwann wurde es Kraemer zu viel, mitten in den Jahresschluss-Abrechnungen auch noch auf die Bühne zu gehen.

Ein Kultstück, für das der Theater-Geschäftsführer sich Eselsohren anlegte: „Ox & Esel“. Das Krippenspiel der Überzwerge mit Detlef Kraemer als Esel und Bog Ziegenbalg als Ochse, war viele Jahre vor Weihnachten der absolute Renner. Irgendwann wurde es Kraemer zu viel, mitten in den Jahresschluss-Abrechnungen auch noch auf die Bühne zu gehen.

Foto: Kerstin Kra§mer

Es war das Jahr 1979. Da schlenderte ein gerade sehr unglücklicher 23-jähriger Jura-Student über den St. Johanner Markt in Saarbrücken, und sein Blick fiel auf ein Plakat, mit dem ein kostenloser Kabarett-Abend angekündigt wurde. Der junge Mann hatte gerade nichts Besseres vor und dachte sich: „Ach, bevor du jetzt in irgend einer Kneipe vesackst. . .“.

Und so betrat Detlef Kraemer vor nunmehr 40 Jahren das legendäre Theater Blaue Maus, eine Keimzelle der freien saarländischen Theaterszene.

Es war einer dieser Schicksalsmomente, die man erst viele Jahre später als solche erkennt: Denn wer weiß, ob es das Kinder- und Jugendtheater Überzwerg heute noch geben würde, wenn Kraemer damals lieber in die Kneipe gegangen wäre.

Weil ihm gefiel, was der unvergessene Rolf Linnemann mit der Maus-Mannschaft dort machte und weil er eben gerade etwas orientierungslos war, ging er gleich an mehreren Abenden hin. „Es war nicht so gut besucht, insofern fiel es auf, wenn einer öfter kam“, erinnert sich Kraemer beim Treffen in einem Saarbrücker Café. „Und eines Tages sprach mich ein netter Herr an der Kasse an, ob ich nicht ein bisschen helfen wollte bei der geplanten Kabarett-Revue“. Der freundliche Herr war Dieter Desgranges, ein weiteres Urgestein der freien Theaterszene.

So wurde Kraemer, der bisher keinerlei Berührung mit dem Theater hatte, ehe er sich versah, zu einer bis heute wichtigen Figur der Saarbrücker Szene. „Anfangs half ich an der Kasse, klebte Plakate und so.“ Aber eines Tages betrachtete er ein bisschen zu interessiert das Mischpult hinter der Bühne – und ratzfatz war er Inspizient der Blauen Maus. Das ging damals schnell, in dieser chaotisch-bunten Gründerzeitstimmung alternativer Kulturbetriebe.

Irgendwann stand der junge Mann natürlich auch mal selbst auf der Bühne – in dem Stück „Der Großwesir“ und einem Einakter von Kurt Goetz: „Und ich bekam gleich meinen ersten Verriss von der Saarbrücker Zeitung“, erinnert er sich lächelnd. „Wäre er doch lieber Student geblieben“, schrieb die Rezensentin.

Zum Glück fürs Saarbrücker Kindertheater hat er nicht auf sie gehört. Im Gegenteil: Kraemer schmiss sein Jura-Studium und verschrieb sich ganz dem Theater. Und hatte alsbald eine weitere schicksalhafte Begegnung: „In der Blauen Maus habe ich auch den Bob kennengelernt, das war sehr wichtig.“ Bob Ziegenbalg, der später künstlerischer Leiter des Kinder- und Jugendtheaters Überzwerg wurde.

Es war sozusagen Freundschaft auf den ersten Blick. Zwischen zwei Menschen, die unterschiedlicher kaum sein könnten. Bob Ziegenbalg, der Extrovertierte, der Künstler-Berserker, der sich gern und oft und laut aufregen kann über Gott und die Welt. Und Detlef Kraemer, ein eher zurückhaltender Mensch, mit verschmitztem Lächeln, ruhig und fast ein bisschen zögernd im Gespräch. Aber als Tandem werden die beiden später unschlagbar werden. Weil sie sich ergänzen.

Seine Begeisterung fürs Kindertheater entdeckte der junge Ex-Student jedoch nicht etwa über diese Freundschaft. „Bob kam erst später zu den Überzwergen als ich“. Seinen magischen Aha-Moment mit Kindertheater hatte er vorher. Auf dem St. Johanner Markt, erzählt er mit immer noch leuchtenden Augen, sah er einen Auftritt der damals noch ganz frischen Überzwerge, „das war noch mit Jochen Senf“.

„Zirkus Remmidemmi“ hieß das Stück. „Ich blieb stehen und habe zugekuckt. Und war geflasht von einem Hochseilakt“: Der fand nämlich auf einem dicken Tau statt, das einfach auf dem Boden (!) lag. „Einer balancierte darauf, und ich hab mir die Kinder angeschaut, wie sie reagierten und hab gedacht: Ja, das isses!“

Diese Hinwendung zum Kind, dieses Ernstnehmen der Fantasie verband er mit seinem Lieblingstext der Weltliteratur: „dem zweiten Vorwort von Erich Kästner zum Fliegenden Klassenzimmer“. Jenem Text, in dem Kästner sich über die Erwachsenen echauffiert, die Kinder und ihre Gefühle nicht ernst nehmen. Man könnte sagen, da hatte das Schicksal schon wieder ein bisschen am Hemd gezupft.

Noch eine Schippe drauf legte das Schicksal beim Studentenwerk, wo Kraemer seinerzeit ebenfalls aktiv wurde. Da nämlich schubste es ihn, die bis dahin „mathematische Niete“, Richtung Zahlen.

„Ich bin das erste Mal mit Wirtschaftsplänen in Berührung gekommen.“ Eine Fähigkeit, die bei Künstlern eher nicht so verbreitet ist. Später sattelte er noch („das abgebrochene Studium ließ mir doch keine Ruhe“) ein Diplom als Betriebswirt Personal- und Sozialwesen drauf. Und wurde auch dank dieser Kompetenzen wenig später zum Rückgrat des Kinder- und Jugendtheaters Überzwerg.

Es ist eine ganz schön lange Zeit Saarbrücker Theatergeschichte, die Detlef Kraemer miterlebt hat. Dabei hat es ihn zufällig an die Saar verschlagen. Der Sohn eines umzugslustigen Ingenieurs hatte 1974 im italienischen Padua Abitur gemacht. „Ich habe dann ziemlich viele Unis angeschrieben, um Jura zu studieren.“ Aus Saarbrücken kam die erste Zusage. Und so landete er hier, heiratete seine erste Frau – und kam fünf Jahre später zum Theater.

Wer das Auf – und vor allem das Ab – der freien Theaterszene im Land verfolgt hat, ahnt, wie goldrichtig das Schicksal da gewirkt hat. Peter Andersson, Reinhardt Brock, Rolf Linnemann – die große frühe Zeit des freien Theaters hat Detlef Kraemer erlebt. Jene wilde, hoch politische Zeit, als die Schauspieler sogar mal eine Hausbesetzung machten: Die berühmte Erstürmung der ehemaligen Schillerschule.

Zwei Wochen lebten die Künstlerinnen und Künstler hier, aus Protest, „weil es keine Probenräume gab“. Gelöst wurde das Problem dann sehr saarländisch, erzählt Kraemer: „In einer Sitzung, auf einer Parkbank am Saarufer. Mit dem damaligen OB Jürgen Koebnick“. Die Stadt gab die Fechinger Hasenbergschule für Probenzwecke frei, die Schillerschule wurde geräumt. Heute ist die Musikhochschule hier mit ihrer Dependance.

Von den allermeisten Theatern der damaligen Zeit ist heute nichts mehr zu sehen. Nur die Überzwerge, die gibt es noch. „Ich kam über Peter Tiefenbrunner zu denen. Er sagte mir, Jochen Senf wolle aufhören, und sie brauchten einen, der die Technik macht.“ So bekam Detlef Kraemer seinen ersten Vertrag, und die Überzwerge bekamen jemanden, der mit Geld umgehen konnte.

Das hatte das Schicksal gut gemacht. In Stein gemeißelt war das Überleben der Zwerge nämlich nie, auch wenn sich heute wohl kaum jemand das Saarland ohne sie vorstellen kann.

Das Theater, ursprünglich im Jugendzentrum Försterstraße und später im Theater im Stiefel (wo heute das Stiefelbräu ist) zu Hause, hatte immer wieder finanzielle und räumliche Probleme. Und durchaus nicht nur Freunde in der Politik. Vor allem Konservative bekamen seinerzeit bei aufklärerischen Stücken wie „Was heißt hier Liebe“ geschwollene Stirnadern.

Viele dicke Bretter mussten da gebohrt werden. Und ohne einen soliden Wirtschafter wie Detlef Kraemer wäre das wahrscheinlich nie so gut gelaufen. „Ingrid Braun hat mir da mal das größte Kompliment gemacht“, erzählt er. Die Schauspielerin, Gründungsmitglied der Überzwerge, sagte nämlich: „Ich kenne so viele tolle künstlerische Kollektive, die wegen der Geschäftsführung gescheitert sind“. Dieses Schicksal habe er den Überzwergen erspart.

Auf der Bühne stand Detlef Kraemer mit den Jahren kaum noch. Nur zur Weihnachtszeit, da war er ein großartiger Esel. In dem herrlich anarchischen Krippenspiel „Ox und Esel“ brillierten er und sein alter Weggefährte Bob Ziegenbalg alle Jahre wieder. Das Stück war Bauchweh-vor-lachen-Kult. Als Detlef Kraemer vor zwei Jahren alles zu viel wurde, waren viele traurig. „Aber ich habe Bob versprochen, wir machen es irgendwann wieder – und wenn es am Rollator wäre“.

 Detlef Kraemer vor „seinem“ Theater am Kästnerplatz. Seit über 30 Jahren haben die Überzwerge ein schmuckes Haus hier.

Detlef Kraemer vor „seinem“ Theater am Kästnerplatz. Seit über 30 Jahren haben die Überzwerge ein schmuckes Haus hier.

Foto: Iris Maria Maurer
 Aus ganz frühen Tagen: Der junge Detlef Kraemer gemeinsam mit Madeleine Giese, heute als Krimi-Autorin bekannt, in einer Aufführung von Tardieus „Der Schalter“ im legendären Theater Blaue Maus.

Aus ganz frühen Tagen: Der junge Detlef Kraemer gemeinsam mit Madeleine Giese, heute als Krimi-Autorin bekannt, in einer Aufführung von Tardieus „Der Schalter“ im legendären Theater Blaue Maus.

Foto: Julius C. Schmidt

Ab 1. Januar aber, wird Detlef Kraemer, Vater zweier erwachsener Söhne und eines Zwölfjährigen, jetzt erst mal etwas tun, was auf den ersten Blick überrascht, aber zeigt, wie wenig Zeit so ein Theaterbetrieb einem lässt: „Ich werde fernsehen!“, sagt er und lächelt selig. Jede Menge Filme hat er über die Jahre aufgezeichnet und gesammelt. Nie war die Zeit, sie sich auch anzusehen. Als Neu-Rentner haut sich Detlef Kraemer deshalb jetzt einfach mal vor die Glotze.

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