Unsere Woche Dauerhafte Kontrollen schädigen Nauwieser Viertel

Überbordender Partytourismus stört, aber er wird auch wieder verschwinden. Ohne jene an die Leine zu legen, die nichts dafür können.

Unsere Woche: Dauerhafte Kontrollen schädigen Nauwieser Viertel
Foto: SZ/Robby Lorenz

Es geht nicht an, dass über Monate Menschen nicht mehr zu Ruhe kommen, weil vor ihrer Haustür bis zum Morgengrauen gefeiert wird. Lautstarke Partys am laufenden Band zerren nicht nur überempfindlichen Zeitgenossen an den Nerven. Wer Beschwerdeführer als lernresistente Dauenörgler abtut, die keinen Spaß am Leben haben, liegt falsch. Ein gesellschaftliches Zusammenleben beruht auf gegenseitige Rücksichtnahme.

Lautes Nachtleben auf der Straße sorgt seit einiger Zeit für massive Verstimmungen im innerstädtischen Nauwieser Viertel. Ausgerechnet in dem Saarbrücker Quartier, welches über Jahrzehnte als Hort der Freizügigkeit galt. In einem Gebiet, in dem auch mal Fünfe gerade sein dürfen. Wo Menschen in Sommermonaten – Hartgesottene auch während der kalten Jahreszeit – bis tief in die Nacht vor der Kneipentür parlieren. Wo noch lange vor der Frühstückszeit Gestrandete ihr Brötchen direkt an der Pforte zur Backstube bekommen und dichter Qualm trotz striktem Rauchverbot Bierstuben schwängert. Dieses Ungezwungene hat so etwas herrlich Selbstregulierendes an sich.

Seit einigen Jahren vollzieht sich ein steter Wandel im Nauwieser Viertel. Einige wenige Etablissements von einst sind geblieben, das Publikum hat gewechselt. Vom alternden Hippie hin zum hippen Hipster. Und die, die geblieben sind, fremdeln. Ein Feten-Tourismus hat den Stadtteil erfasst, den viele mit Argwohn beäugen. Auch die Kneipiers, die nun gehalten sind, etwas dagegen zu tun. Dabei sind sie gar keine Nutznießer. Dennoch bekommen sie den Schwarzen Peter zugeschustert. Denn sollte sich nichts an der Situation ändern, dass Menschen mit mitgebrachten Bierbüchsen auf der Straße trinkend herumlungern, droht ausgerechnet den Wirten das städtische Ordnungsamt harte Strafen an.

Die Konsequenz: Seit neustem schirmen Sicherheitsbedienstete an Wochenenden im besonders betroffenen Bereich um die Nauwieser- und Cecilienstraße Lokale ab. Ein Bild, das sich Beobachter bis vor Kurzem vor angesagten Clubs hätten vorstellen können und das ins Nauwieser Viertel so gar nicht hineinpassen will. Wer das liebevoll schranzige Gasthaus Bingert mit seinem Charme einer aus der Zeit gefallenen Schankwirtschaft mit dem Publikum als lebendes Inventar kennt, wird feststellen: Der Zwang zu einem dort patrouillierenden Türsteher ist so absurd wie die Anweisung, dass ein autonomes Jugendzentrum mit einer Polizeiwache unter ein Dach ziehen muss.

Dass sich Bezirke mit der Zeit verändern, gibt es in jeder Großstadt. Plötzlich wird ein Viertel zum angesagten Hotspot der Eventhascher erklärt und ist genauso schnell wieder als Ort gähnender Langeweile abgestempelt. Dann zieht der Tross weiter. Zurzeit leidet kaum hinnehmbar die Nauwies darunter, erst recht durch den lang währenden Hochsommer, der die Menschen allerorten ins Freie lockt. Wir sollten abwarten. Spätestens die ersten frischen Nächte setzen dem Schauspiel ein Ende. Was bis dahin hilft: kurzfristig stärkere Polizeipräsenz, um mit den Party-Protagonisten zu sprechen. Übrigens: Ein Alkoholverbot unter freiem Himmel, wie in anderen Städten praktiziert, wäre kaum richtungsweisend, weil es dazu regelmäßiger Kontrollen bedarf, um es durchzusetzen. Ohne der Sozialromantik zu verfallen: Aber solche dauerhaften Observierungen würden zusätzlich den Charakter des Nauwieser Viertels als selbstbestimmtes Pflaster lädieren.

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