Interview Trotz Flaute: „Es sprudeln immer neue Ideen“

Saarbrücken  · Ein Gespräch über Kulturschaffen in der Krise, die problematische Förderung der Stadt Saarbrücken und das Potenzial der Szene.

 Katharina Bihler mit ihrem Partner Stefan Scheib. Unser Foto entstand während der Vorbereitung einer Performance des Liquid Penguin Ensembles im KuBa – Kulturzentrum am Eurobahnhof.

Katharina Bihler mit ihrem Partner Stefan Scheib. Unser Foto entstand während der Vorbereitung einer Performance des Liquid Penguin Ensembles im KuBa – Kulturzentrum am Eurobahnhof.

Foto: Tobias Keßler

Die Saarbrücker Freie Szene kämpft derzeit an mehreren Fronten. Durch Corona ist den freien Tänzerinnen, Schauspielern, Musikerinnen, Künstlern von einem Tag auf den anderen fast jede Einnahmequelle versiegt. Dazu kommt, dass der neue Oberbürgermeister Uwe Conradt offenbar ausgerechnet mitten in der Krise die kulturpolitischen Karten neu mischen will.Wir haben mit der Schauspielerin und Performerin Katharina Bihler und dem Schauspieler und Kabarettisten Peter Tiefenbrunner gesprochen. Die beiden vertreten das Netzwerk Freie Szene Saar.

Die Künstlerinnen und Künstler, die sich in Ihrem Netzwerk zusammengeschlossen haben, gehören zu den professionellen Kreativen. Was bedeutet, sie leben davon, aufzutreten, Konzerte zu geben, Theater zu spielen. Wie ist die Stimmungslage bei Ihnen?

TIEFENBRUNNER Gemischt. Viele von uns kämpfen mit der Situation, finanziell, persönlich, familiär. Zudem gibt es in dieser Zeit für das Netzwerk auch sehr viel Arbeit auf kulturpolitischer Ebene, was einen großen Zeitaufwand bedeutet und ja ehrenamtlich gemacht wird.
BIHLER Es gibt aber auch Positives: Wir haben unser virtuelles Produktionshaus auf Facebook und auf der Website gegründet, das hat uns wieder spüren lassen, dass wir da sind. Es gab finanzielle Unterstützung von der Kulturministerin für die erste Runde an Videobeiträgen. Und es sprudeln immer neue Ideen, der Austausch unter den Mitgliedern hat sich spürbar intensiviert.

Die saarländische Kultusministerin hat mit großer Kraftanstrengung ein Stipendienprogramm für die Künstlerinnen und Künstler im Land aus dem Boden gestampft. Die Bundeskanzlerin hat nach wochenlangem Schweigen der Kulturszene ebenfalls endlich Unterstützung zugesagt. Wie läuft es denn im Kleinen, also hier vor Ort mit der Stadt Saarbrücken? Welche Hilfe erleben Sie dort?

TIEFENBRUNNER Bisher noch gar keine. Die Stadt ist nicht von sich aus an uns herangetreten. Erst als wir uns in einem Brief an die Stadt gewendet haben, nachdem uns Gerüchte über Konzertabsagen und Haushaltsprobleme zu Ohren gekommen waren, kam es zu ersten Gesprächen – am 21. April. Allerdings konnten wir auch dann wenig Konkretes in Erfahrung bringen. Es hieß, dass es in der Verwaltung noch Abstimmungsbedarf gebe. Das ist im Grunde genommen auch immer noch der Stand.
BIHLER Es war die eigenartige Meinung im Umlauf, dass man uns in diesem Jahr nicht fördern könne, da wir ja „keine Gegenleistung“ erbringen könnten – sprich: keine Aufführungen möglich seien. Wohlgemerkt: Ohne mit uns über die Situation gesprochen zu haben, z.B. über alternative Möglichkeiten, andere Formate oder schlicht Verschiebungen der Aufführungstermine. Das war ehrlich gesagt ziemlich enttäuschend.

Was ist Ihr Eindruck, warum ist das so?

BIHLER Wir haben den Eindruck, dass man unseren Willen, unsere Kreativität und unsere Lust zu arbeiten unterschätzt. Und ebenso die Lust und das Verlangen der Menschen in der Stadt, auch und gerade in komplizierten Zeiten Kultur zu genießen.

Der Oberbürgermeister hat vor drei Wochen Fragebögen an alle Kreativen schicken lassen, um zu erfahren, was sie benötigen. Haben Sie schon etwas von der Auswertung gehört?

TIEFENBRUNNER Es gab ein Treffen mit einer Mitarbeiterin des Kulturdezernats. Auch hier haben wir aber wenig Konkretes erfahren können, zur Umfrage auch nur, dass man sehr froh sei, nun ein Bild der Lage der Kulturschaffenden zu haben.

Am Dienstag gab es jetzt eine Video-Konferenz des Oberbürgermeisters mit Kulturtreibenden der Stadt. Dabei waren neben dem Netzwerk auch verschiedene Veranstalter und der Pop-Rat vertreten. Was hat sich dabei für Sie, also für die Akteurinnen und Akteure der freien Theater-, Tanz-, Kunst- und Musikszene, ergeben?

TIEFENBRUNNER Die gute Nachricht: Die Projektförderung für die Freie Szene bleibt in bisheriger Höhe. Allerdings sollen wir die bereits beantragten Projekte coronatauglich machen – ohne, dass uns dafür konkrete Vorgaben genannt worden wären. Zudem soll bereits in diesem Jahr die Vergabe durch eine neu zu schaffende Jury erfolgen. Und die Projektförderung soll auch „komplementär“ zu beantragter Soforthilfe stehen. Gewissermaßen ein „Hybridmodell“ aus Hilfstopf und Förderung. Das alles bedeutet aber, dass erste Förderungszusagen frühestens Ende Juni kommen können.  Neu ist auch ein „Zwei-Säulen-Modell“, in dem die Veranstalter und Locations eine Coronahilfe bekommen sollen.

103 000 Euro stehen im Haushaltsplan der Stadt Saarbrücken für freie Kulturproduktionen in diesem Jahr. Manches Theater-, Tanz-, Musikstück wird aber kaum wie gewohnt stattfinden können. Warum ist dieses Geld so wichtig für Sie?

BIHLER Vor jeder Premiere stehen Wochen und Monate der Vorbereitung, und wir brauchen das Geld, um mit der Arbeit anfangen zu können.
TIEFENBRUNNER Vieles kann ja auch unter Corona-Bedingungen erledigt werden: Text- oder Musikrechte erwerben, Texte schreiben oder einrichten, Kompositionen anfertigen oder arrangieren, Materialentwicklungen. . . Dann erst geht es ans Proben, was je nach Projekt ja auch schon wieder möglich ist.
BIHLER Und darüber hinaus gibt es viele Projekte, die schon Konzepte entwickeln, wie sie ihre Präsentationsform anpassen können, die Ideen für alternative Umsetzungen haben – und zwar beileibe nicht nur digital. Es gibt auch sehr spannende Konzepte für alternative Aufführungsformen.

Der Stadtrat soll Ende des Monats entscheiden, ob die Zuschüsse wie geplant ausgezahlt werden sollen. Was für Signale bekommen Sie aus den Fraktionen?

TIEFENBRUNNER Wir sind mit allen Fraktionen im Austausch, und alle versichern uns, dass sie hinter uns stehen. Bei unseren Gesprächen lagen den Fraktionen noch keine konkrete Vorlage der Verwaltung vor, die sie überhaupt hätten beraten können, und der Kulturausschuss hat seit Corona nicht getagt, was uns durchaus verwundert. Und er bleibt wohl auch weiterhin außen vor.

Ein wichtiges Festival für die hiesige kreative Szene ist die Saarbrücker Sommermusik. In der geplanten Form wird es natürlich nicht stattfinden können. Aber die Netzwerk-Künstlerinnen und Künstler haben eine ganze Reihe von Vorschlägen erarbeitet, wie man ein Corona-Festival machen könnte. Wie ist da der Stand der Dinge?

BIHLER Nach unserem momentanen Kenntnisstand arbeitet die Stadt an einer alternativen Planung des Sommerfestivals, durchaus inspiriert von unseren Vorschlägen, und mit Konzertformaten, die im Einklang mit den zu erwartenden Auflagen stehen. Ziel ist es, auch unter den gegebenen Bedingungen ein bündiges Festivalkonzept zu entwickeln und zu verfolgen – keine Sommermusik, wie alle sie kennen, aber vielleicht eine „Coronamusik“ mit ganz eigenem Charme.

Auch wenn derzeit überall gelockert wird, sogar die Gastronomie wieder öffnet, für echte Kulturveranstaltungen wird es noch länger nichts werden. Uns steht ein kulturarmer Sommer bevor. Was denken Sie? Wird die freie Kulturszene hier das Ganze überleben?

BIHLER Das wissen wir nicht! Natürlich sind alle, die als Künstlerinnen und Künstler in der Saarbrücker Freien Szene arbeiten, notgedrungen auch Überlebenskünstler. Wenn sich aber die Produktionsförderung durch ein ausgerechnet jetzt neu eingeführtes Procedere noch verzögert, wird es eng.

TIEFENBRUNNER Wir wollen und können arbeiten! Um dann in den Startlöchern zu stehen, sobald es wieder möglich ist, vor Live-Publikum zu spielen. Es geht aber jetzt auch um ein klares und tatkräftiges Signal der Stadt, dass sie zu „ihren“ Kunstschaffenden steht.

 Peter Tiefenbrunner arbeitet als freier Schauspieler und Kabarettist. Mit seiner Partnerin Barbara Scheck managte er viele Jahre das Theater Leidinger. Viele Zuhörer kennen ihn aus seiner Kabarett-Kolumne „Brunners Welt“ auf SR2 Kulturradio.

Peter Tiefenbrunner arbeitet als freier Schauspieler und Kabarettist. Mit seiner Partnerin Barbara Scheck managte er viele Jahre das Theater Leidinger. Viele Zuhörer kennen ihn aus seiner Kabarett-Kolumne „Brunners Welt“ auf SR2 Kulturradio.

Foto: Kerstin Kra§mer

„Zur Lage der Kultur“ gibt es am 28. Mai, 19 Uhr, auch ein Fachgespräch unter dem Motto „Blick nach vorn“ in der Villa Lessing. Gäste sind: Maria Grätzel, Orchestermanagerin der Deutschen Radio Philharmonie und Peter Tiefenbrunner als Vorstandsmitglied des Netzwerks Freie Szene Saar. Es moderiert Ilka Desgranges (SZ).

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