Unterhaltsame Premiere Ein Trash-Grusical, das den Namen verdient

Saarbrücken · In der Sparte 4 des Staatstheaters wurde ein schrecklich-schön schräges Stück Theater vom Publikum ausgiebig gefeiert. „Das Fenster“ hatte mit langer Verzögerung endlich Uraufführung.

 Gruselig in Rosa: Timo Wagner als Lucien auf der kleinen Bühne der Sparte 4. Die Uraufführung wurde vom kulturell ausgehungerten Publikum mit sehr langem Applaus gefeiert. 

Gruselig in Rosa: Timo Wagner als Lucien auf der kleinen Bühne der Sparte 4. Die Uraufführung wurde vom kulturell ausgehungerten Publikum mit sehr langem Applaus gefeiert. 

Foto: sst/Martin Kaufhold

Grusel, Familiendrama, Humor und beißende Kritik an den sozialen Medien der Jugend – aus dieser Mischung bestand die Premiere des Stücks „Das Fenster“, die das auf 30 Personen limitierte Publikum in der Sparte 4 des Staatstheaters am Sonntagabend miterlebte. Offizielle negative Testergebnisse waren obligatorisch, streng kontrolliert am Eingang.

Mit einem Kinderlied über den kleinen Stern Naseweis ging’s los, dann setzte die Hauptfigur Christopher (Thorsten Rodenberg) erst mal ein Statement. Einmal damit, dass der Schauspieler zwei teuflisch wirkende Spängchen auf seinem mächtigen Kopf trug und ansonsten in Frauenkleider gesteckt worden war. Zusammen mit der Gruselbeleuchtung (Scheinwerfer von unten) verlieh ihm das eine selten gesehene bizarre Aura. Zum anderen mit dem herausgebrüllten Wunsch: „Ich möchte Kellogg’s Frosties, die vom Aldi schmecken nicht!“

Das große schmollende Kind, den Angstpatienten oder den Psychopathen, all das verkörperte Rodenberg beeindruckend. Das Stück spielt in Christophers Kinderzimmer, das außer einer Kiste mit Weihnachtsschmuck über keinerlei Einrichtung verfügt. Christopher ist 25 und besitzt ein Diplom in Kulturwissenschaften, für das er eindringlich fordert, man solle es endlich mal anerkennen.

Dennoch ist er noch nicht weit gekommen auf dem Weg zum Erwachsenen-Dasein: Seine dominante und ihn vernachlässigende Mutter (Christiane Motter) will ihn auf keinen Fall nach draußen lassen. Meist äußert sie sich nur von hinten mit Gejammer oder Befehlen und spielt auf dem echten Cembalo, das im früheren Raucherzimmer der Sparte4 aufgestellt wurde. Auf der Bühne kommt ihr Böses aus dem Mund wie: „Das kalte, faulige Herz in diesem Haus war immer dein Kinderzimmer.“

Besuch bekommt Christopher vom Nachbarmädchen Milinda, genannt Milli (Jil Devresse). Sie betreibt einen Instagram-Kanal, auf dem Zuschauer sie dabei beobachten können, wie sie verschiedene Dinge isst. Als hübsche Blondine hofft sie damit erfolgreich zu sein („Ich bin Influencerin“).

Der Peter Pan nachempfundene Lucien (Timo Wagner) taucht plötzlich in der Szenerie auf als jemand, der die jungen Leute hinaus ins Leben bringen will. Er fragt Milli mehrfach, wieso sie ihren Kanal betreibt, bis am Ende die richtige Antwort kommt: „Weil ich nichts anderes kann!“

Die hintere Tür auf der rechten Seite der Sparte4-Bühne dient als Zugang oder Ausweg in die Realität, die sich jedes Mal verschieden, doch meistens mit viel Nebel präsentiert: Rotes Licht und Diskoklänge kommen da raus oder Schneeflocken im blauen Nebel.

Unterbrochen wird die Handlung immer wieder durch die Einspielung typischer Internet-Gruselvideos, auf denen scheinbar zufällig Gedrehtes seltsame Kreaturen zeigt. Solche reißerischen Clips sind wohl Renner auf Youtube und meist unterlegt mit reichlich dümmlichen Kommentaren, in der Sparte treffend persifliert von Sprecher Michael Wischniowski.

Alles in allem haben die beiden Autoren Mandy Thiery und Thorsten Köhler mit „Das Fenster“ ein unterhaltsames Sammelsurium geschaffen, dem vielleicht der rote Faden bisweilen etwas fehlte, aber das dem Titel Trash-Grusical sehr gut gerecht wurde. Musik gab es auch, Achim Schneider versah die anderthalb Stunden mit Cembaloklängen, zu denen bisweilen gesungen wurde.

Das Stück entstammt der Kooperation zwischen den Theatern Les Théâtres de la Ville de Luxembourg und dem Saarländischen Staatstheater. Die junge Luxemburger Autorin Mandy Thiery war noch vor Corona mit dem Stoff beauftragt worden, der Bezüge zu Peter Pan und dem Horrorfilm „Spuk im Hill House“ hat.

Gemeinsam mit Köhler und den Schauspielerinnen und Schauspielern (Devresse und Wagner kommen aus dem Großherzogtum) entwickelte sie das Stück, dessen Premiere immer weiter hinausgeschoben musste.

„Das Stück beschäftigt mich jetzt schon seit über einem Jahr. Man muss das jetzt ein bisschen aus dem Körper kriegen. Heute ist endlich Schluss damit“, meinte Sparte4-Chef und Regisseur Thorsten Köhler, der es überdies „toll“ fand, endlich wieder Theater präsentieren zu dürfen.

 Trio infernale: Jil Devresse (Milinda), Timo Wagner (Lucien) und Thorsten Rodenberg (Christopher).

Trio infernale: Jil Devresse (Milinda), Timo Wagner (Lucien) und Thorsten Rodenberg (Christopher).

Foto: sst/Martin Kaufhold

Das Publikum reagierte am Ende mit einer Applauslänge, die über das hinaus ging, was nach langer Theater-Durststrecke sowieso zu erwarten gewesen wäre. „Das Fenster“ ist also ein gelungener Einstieg in die Fortsetzung der Spielzeit.

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