Christiane Motter bringt ein bisschen Staatstheater in die freie Szene Frau Holle, ein Märchen der Nachhaltigkeit

Saarbrücken · Die Staatstheater-Schauspielerin Christiane Motter spielt erstmals eine freie Produktion im Theater im Viertel. Mehrere glückliche Umstände machten das möglich.

 Staatsschauspielerin Christiane Motter schnippelt im TiV am Schicksalsfaden-Netz in Frau Holles Höhle, Martin Hennecke spielt dazu.

Staatsschauspielerin Christiane Motter schnippelt im TiV am Schicksalsfaden-Netz in Frau Holles Höhle, Martin Hennecke spielt dazu.

Foto: krämer/Kerstin Kraemer

„Frau Holle? Hulda? Hel? Wer bin ich?“ fragt die Schauspielerin Christiane Motter – als ob ihre Bühnenfigur innerhalb des Gespinstes, in dem sie sich bewegt, ihren roten Identitätsfaden verloren hätte.

Umgekehrt dürfen die Zuschauerinnen und Zuschauer darüber nachgrübeln, mit wem sie sich eher identifizieren: mit der Goldmarie oder mit der Pechmarie? Und was hat das Ganze mit Umweltverschmutzung, Artensterben, der Verschwendung von Lebensmitteln oder der Abholzung der Regenwälder zu tun?

Konkrete Antworten gibt es im Theater im Viertel (TiV) zwar keine, aber Konfrontationen und Denkanstöße. Und vielleicht fällt vom Apfelbaum, der im Märchen der Gebrüder Grimm gerüttelt werden will, für den einen oder anderen ja die Frucht der Erkenntnis ab, wenn er sich die Gretchenfrage stellt: Sag, wie hältst Du‘s mit der Nachhaltigkeit?

Am Samstag feiert im TiV das Stück „In der Höhle oder: Frau Holles Gericht“ Premiere – eine Produktion, die das Publikum ins Allerheiligste eines mythischen Wesens mit gleich mehreren Namen entführt: Als Vorfahrin von Frau Holle gilt die heidnische Göttin Hulda, deren religionsgeschichtliche Ahnfrauen wiederum bis zu Hel reichen, der Totengöttin der nordischen Mythologie.

Regie führt die freie Regisseurin und Dramaturgin Katharina Molitor, die mit Christiane Motter und dem Percussionisten Martin Hennecke ihre Wunschbesetzung gecastet hat. Beide kennt man vom Saarländischen Staatstheater (SST): Motter, 2016 zur Staatsschauspielerin geadelt, gehört seit fast 20 Jahren zur ersten mimischen Garde; Hennecke ist stellvertretender Solo-Paukist und Mitglied des Schlagwerk-Ensembles „Percussion under Construction“.

Bei szenischen Programmen dieser Truppe hat Molitor bereits mehrfach Regie geführt („Fragments“, „Genesis“, „Recycled“); Christiane Motter konnte sie 2019 für die Produktion „Rad und Ring, Ring und Rad – Carmina Burana und Der Herr der Ringe“ mit der Bergkapelle St. Ingbert in der Alten Schmelz gewinnen.

Sind die SST-Leute nun Corona-bedingt so ausgehungert, dass es sie auch in ihrer Freizeit auf die Bühne zieht? Katharina Molitor gibt zu, durchaus „mit den Füßen gescharrt“ zu haben; die anderen beiden hatten, wie Motter augenzwinkernd erzählt, auf eine „gemütliche“ Streamingproduktion spekuliert und wurden vom Lockern der Notbremse „kalt erwischt“.

Denn damit wird nun eine Live-Aufführung vor Publikum möglich; und weil dass SST auch wieder hochfährt, müssen die zwei in dieser Woche doppelt ran. Das aber „mit großer Lust“, beteuert Motter: „Jetzt ist es umso schöner!“

Was hat es mit dem selbst entwickelten Stück auf sich? Molitor war immer schon fasziniert von Märchen, Mythen und Sagen, und weil sie im Nebenjob freiberufliche Bildungsreferentin für nachhaltige Entwicklung ist, liegen ihr Themen wie Umweltschutz und Ressourcenschonung am Herzen. Da habe sich das Märchen von Frau Holle als Reflektionsfläche angeboten – denn worum geht’s, wenn sich die Gold- und die Pechmarie einer Art jenseitiger Stationenwanderung mit Prüfungen unterziehen müssen?

Wer die Flachsspindel nicht aus dem Brunnen fischt, das Obst verderben und das Brot im Ofen verkokeln lässt, treibt ignoranten Raubbau mit den Produkten der Natur und gehört bestraft. Und wer kein Bettchen schüttelt, verhindert, dass es auf der Erde schneit – mit der zwangsläufigen Erderwärmung droht die Klimakatastrophe. Seit Jahrtausenden hält so Frau Holle alias Hulda/Hel Gericht über die Menschen. Molitor: „Entscheidend ist, was am Ende des Lebens abgerechnet wird.“

Aber wer rechnet im realen 21. Jahrhundert ab? Werden immer noch nur die belohnt, die stets hübsch artig und folgsam sind? Oder gibt’s so was wie Eigenverantwortung? Dem nähert sich das Stück mit collagierten Fragmenten aus Kinderreimen, Märchen, Mythen, von Molitor selbst geschriebenen Texten und Fakten-nüchternen Wikipedia-Einträgen.

Dabei nutzt das Trio die schwarze Blackbox der TiV-Bühne als Höhle, in der die Nornen ihre Schicksalsfäden spinnen. In diesem Netz agiert Motter mal als mitunter sarkastische Erzählerin, mal als Figur voller Brüche, mit der Martin Hennecke in einen musikalisch-literarischen Dialog tritt: Mit Vibraphon, Trommeln, allerlei Kleinpercussion und Freude an Motiven mit Wiedererkennungswert schafft er eine atmosphärische Klanginstallation.

Wer Lust hat, dieser Öffnung von Bedeutungshorizonten beizuwohnen, sollte flugs Karten reservieren: Momentan dürfen nur 15 Leute ins TiV.

 Katharina Molitor führt Regie in der freien Produktion.

Katharina Molitor führt Regie in der freien Produktion.

Foto: Molitor

Premiere Samstag, 5. Juni, 19.30 Uhr (wieder: Freitag, 25. Juni, 19.30 Uhr).  Kartenreservierung ist obligatorisch und nur online möglich unter www.dastiv.de

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