Nach 1000 Kilometern zurück in der Spur

Saarbrücken · Weil er einen großen Feuerwehreinsatz auslöste, geriet ein 15-jähriger Jugendlicher in die Schlagzeilen. Um zur Besinnung zu kommen und über sein Leben nachzudenken, ging ein Sozialarbeiter des Diakonischen Werks mit ihm auf große Tour. Seitdem hat sich viel verändert.

Radfahren ist gesund und macht Laune. Aber müssen es gleich 1000 Kilometer sein? Tim (Name von der Redaktion geändert) hat sich vier Wochen lang abgestrampelt. Aber nicht nur zum Spaß. Die Reise sollte ihm helfen, über sein Leben nachzudenken. Denn Tim hat es bisher nicht einfach gehabt. Oft Stress mit den Eltern, dann im März die Entscheidung des Jugendamts, ihn in der Wohngruppe des Diakonischen Werks in Alt-Saarbrücken unterzubringen, in der er sich aber nicht richtig wohlfühlte, wie Sozialarbeiter Robert Ketschker berichtet. Schließlich die Aktion mit einem Freund auf dem Dach der Europa-Galerie, als er mit einem Feuerlöscher rumspielte und die Rauchentwicklung einen Großeinsatz von Feuerwehr und Polizei auslöste. Tim redet nicht gern darüber. "Spätestens dann war klar, dass was passieren musste", erklärt Ketschker.

So entstand die Idee, mit Tim die große Radtour zu machen. Zuerst fuhren die Beiden an Saar und Mosel entlang bis nach Koblenz, weitere Stationen waren die Loreley, Mainz und Frankfurt, Rothenburg ob der Tauber und Nürnberg. Schließlich fuhren sie mit dem Zug nach Bayreuth . Dort trafen die Beiden dann auf den Rest der Wohngruppe und verbrachten gemeinsam ein paar schöne Ferientage.

Die Reise hat sich gelohnt, sagt Ketschker: "Tim musste zu sich selbst finden, einen ruhigen Blick auf alles kriegen und sich auf die Wohngruppe einlassen." Auf der Tour habe er Erfolgserlebnisse gehabt, sich durchgebissen und akzeptiere nun die Wohngruppe. Tim unterstreicht das: "Ich habe keine Lust mehr, wieder nach Hause zu ziehen. Ich würde am liebsten alle meine Sachen hierherholen." Vor der Radtour sei er oft mal von der Wohngruppe weggelaufen. Er habe auch Kontakt mit der Drogenszene gehabt. "Ich habe jetzt gemerkt, dass ich auch ohne Drogen Spaß haben kann", sagt der 15-Jährige. Deshalb meide er nun den Platz vor der Johanneskirche und den Hauptbahnhof. Tim ist stolz, die 1000 Kilometer geschafft zu haben. Natürlich habe es auch mal Stress gegeben, sagt der Sozialarbeiter . "Dann sind wir erst mal Rad gefahren und haben später darüber geredet." Die Tour nur zu zweit und so lange sei auch Neuland für das Diakonische Werk, ergänzt Simone Schranz, stellvertretende Leiterin der Abteilung Jugendhilfeverbund. "Den Kindern fällt es nicht leicht, hier in der Wohngruppe anzukommen. Diese Reise war dazu da, ähnlich wie beim Pilgern die innere Einkehr zu finden und sich mit dem Leben auseinanderzusetzen", sagt Schranz und freut sich, dass das offensichtlich geklappt hat. Auf 3000 Euro Mehraufwand beziffert das Diakonische Werk die Kosten der außergewöhnlichen Maßnahme. Schranz und Ketschker hoffen, dass es mit Tim nach den guten Erfahrungen auf der Radtour langfristig aufwärts geht.Der Aufwand ist groß: Um einen Jugendlichen wieder "in die Spur" zu bringen, macht ein Sozialarbeiter mit ihm eine vierwöchige Radtour. Eine intensive Beziehung entsteht, die hoffentlich hilft, dass der Jugendliche die Kurve kriegt. Der Staat muss hier leider ausbügeln, was die Eltern versäumt haben. Doch dazu gibt es keine Alternative. Wenn das Jugendamt und das Diakonische Werk diesen Aufwand nicht betreiben würden, wäre die Gefahr groß, dass der Jugendliche in die Drogenszene abrutscht. Deshalb ist das Geld hier gut angelegt.

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