Vieles fehlt, nicht nur Zuneigung

Riegelsberg/Asunción. "Fiiilaaa!" So starte ich seit zwei Monaten meinen Tag hier in Paraguay. Als Freiwillige arbeite ich im Rahmen des Weltwärts-Programms für die Fundacion Fundar. In unserer Einrichtung gegen Kinderarbeit werden die rund 20 Kinder im Alter zwischen fünf und zwölf Jahen mit der "Fila", der Reihe, zum Händewaschen zusammengetrommelt

Riegelsberg/Asunción. "Fiiilaaa!" So starte ich seit zwei Monaten meinen Tag hier in Paraguay. Als Freiwillige arbeite ich im Rahmen des Weltwärts-Programms für die Fundacion Fundar. In unserer Einrichtung gegen Kinderarbeit werden die rund 20 Kinder im Alter zwischen fünf und zwölf Jahen mit der "Fila", der Reihe, zum Händewaschen zusammengetrommelt. Wir frühstücken und halten den Unterricht von Mathematik bis Guaraní, der indigenen aber sehr lebendigen zweiten Sprache Paraguays. Während meine Chefin sich um die Ältesten kümmert, helfen Kevin, ein anderer Freiwilliger, und ich dem Rest beim Bearbeiten der Aufgabenblätter. Nach dem Lernen können die Kinder in unserer riesigen Halle spielen. Fuß-, Volley-, Völkerball, Lesen oder Tanzen.

Ich passe auf und habe dabei selbst meinen Spaß. Um 11.20 Uhr wird es dann aber mit einem erneuten "Fila" meinerseits Ernst. Mit dem Händewaschen beginnt das Mittagessen: eine Gemüsesuppe mit ein bisschen Fleisch, Reis, Mais, Kartoffeln oder Nudeln. Dann geht es für die Kinder wieder in die Schule. Kevin und ich machen uns an das Entwerfen von Aufgabenblättern.

Auch wenn wir diese jeden Tag 20 Mal abschreiben müssen, da es an einem Kopierer fehlt, bereitet mir diese Arbeit große Freude.Schließlich ist unsere Kreativität gefragt, und wir können auf jedes Kind einzeln eingehen. Daher versuchen wir, auch das Umfeld der Kinder sowie ihre Probleme so gut es geht kennenzulernen und besuchen alle zwei Wochen ihre "Häuser" und Schulen.

Wir reden mit Lehrern und Eltern, sehen wie und wo die Kinder leben - jedes Mal eine aufs Neue erschreckende Erfahrung. Sie kommen zu uns, damit sie in der Zeit nicht auf der Straße zum Beispiel als Müllsammler arbeiten müssen.

Alle sind sehr stark von ihrem Umfeld geprägt: Gewalt, wenig Aufmerksamkeit, undurchsichtige Familienverhältnisse, abgenutzte Klamotten, Karies und Läuse. In den Familien fehlt es an vielem, von Zuneigung und Essen bis hin zur täglichen Dusche. Hinzu kommt die Ausgangssituation, dass einige leicht geistig behindert oder verhaltensgestört sind. Manche wiederholen schon zum dritten Mal die zweite Klasse und können mit zehn Jahren noch nicht bis 30 zählen, mit zwölf noch nicht lesen. Oft weiß man nicht: Wo fange ich an? Wie kann ich Fortschritte erreichen?

Dann bin ich enttäuscht, weil es eben unmöglich ist, allen gleichzeitig zu helfen. Andererseits fühlt es sich aber auch ganz gut an, dass wir die vier Richtlinien, die Kinder von der Straßenarbeit zu holen und ihre Ernährung, Bildung und Gesundheit zu verbessern, fast allein durch unsere tägliche Anwesenheit umsetzen.

Und dann gibt es ja auch noch die zahlreichen Aktionen. Mit dem Besuch der einzigen Keksfabrik von Paraguay, die sich übrigens 100 Meter neben dem Haus meiner Gastfamilie befindet, haben wir es bis ins Fernsehen geschafft. Auch ein Tag im Zirkus hat den Kindern große Freude bereitet. Ein weiterer Höhepunkt war der Besuch des Colgate-Mobils, ein fahrbares Zahnarztlabor mit einem ganzen Jahrgang Zahnmedizinstudenten im Schlepptau.

Mit Informationsveranstaltungen zu Themen wie häusliche Gewalt und Hygiene versuchen wir, auch die Eltern mit ins Boot zu nehmen. Trotzdem bleibt es eine große Herausforderung, spürbare Veränderungen zu erreichen. Über jeden kleinsten Fortschritt der Kinder freue ich mich aber schließlich riesig und merke dann, was für ein Glück dieses Projekt nicht nur für mich ist.

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