Sie stößt auf viele Schicksale, die bewegen

Riegelsberg · Die Riegelsbergerin Kathrin Hansen leistet ihren Bundesfreiwilligendienst bei der „Aktion Sühnezeichen Friedensdienste“ in London.

 In der Wiener Library sichtet die Riegelsbergerin Kathrin Hansen viele historische Dokumente von jüdischen Familien. Foto: Hansen

In der Wiener Library sichtet die Riegelsbergerin Kathrin Hansen viele historische Dokumente von jüdischen Familien. Foto: Hansen

Foto: Hansen

Seit nunmehr fünf Monaten absolviert die Riegelsbergerin Kathrin Hansen ihren Bundesfreiwilligendienst bei der "Aktion Sühnezeichen Friedensdienste" in London. Die gemeinnützige Organisation betrachtet es als ihre Pflicht, sich mit dem Nationalsozialismus und dessen Verbrechen auseinanderzusetzen, um dies als Grundlage für ein humanes Handeln in der Gegenwart zu nutzen. Für ihr ehrenamtliches Engagement zur Aufarbeitung der Schicksale der Opfer der NS-Diktatur hat die 18-Jährige zahlreiche "Paten" aus dem Köllertal gefunden, die sie finanziell unterstützen. In einem Zwischenbericht schildert sie ihre bisherigen Erfahrungen und Beobachtungen.

Primär arbeitet Kathrin Hansen in der "Wiener Library" in London. Sie gilt als eines der führenden Archive zum Thema Holocaust und vereint Bibliothek und Ausstellung. Gegründet wurde sie von dem deutsch-jüdischen Flüchtling Alfred Wiener, der 1933 über die Niederlande nach Großbritannien floh.

Neben der Erweiterung des Archivs um deutschsprachige Periodika sucht die Einser-Abiturientin im Internet nach Magazinen und Newslettern, die mit der Shoah, dem Nationalsozialismus, Gedenkstätten, Widerstand und der Antifa zu tun haben, und lädt deren Archive herunter. Auch das Katalogisieren, der Ankauf neuer Bücher für die Bibliothek, die Vorbereitungen für Ausstellungen und die Verbreitung von Neuigkeiten in sozialen Medien zählen zu ihren Aufgaben.

Das chronologische Sortieren alter Dokumente und Briefe, zum Beispiel der Nachlass einer jüdischen Familie, die 1934 nach Großbritannien geflohen ist, macht ihr am meisten Spaß. "Mittlerweile kenne ich fast die gesamte Geschichte der Familie inklusive aller Schwägerinnen, Geschwister und der entfernteren Verwandtschaft sowie alle peinlichen Kindergeschichten einer Generation", erzählt Kathrin Hansen. "Ich erkenne jede Woche neue Zusammenhänge. Ich lese über die Gedanken und Gefühle einer Person an einem bestimmten Punkt in der Vergangenheit und weiß gleichzeitig, was noch auf diese Person zukommt."

Oft scannt und digitalisiert sie auch so genannte "Tarnschriften". Das sind konspirative Schriften unter anderem von Thomas und Heinrich Mann, die es während des Nationalsozialismus etwa beim Kauf einer bestimmten Teesorte dazugab und die die Unmenschlichkeit des Nazi-Regimes anprangerten. Die Riegelsbergerin: "Diese Arbeit ist sehr interessant, da man automatisch die Dokumente liest und so sehr viel Neues lernt." Ein weiterer Schwerpunkt der Arbeit von Kathrin Hansen liegt in der Dokumentation von Augenzeugen-Berichten. Derzeit führt sie Gespräche mit einer 96-jährigen Jüdin aus dem Rheinland, die nach ihrer Flucht zuerst in der Schweiz wohnte und nun in England lebt. "Sie erinnert sich manchmal an ihre früheren Haustiere, ihr Elternhaus, die Dienstreisen ihres Vaters und die Urlaube in ihrer Kindheit. Jedoch enden die meisten dieser Erzählungen mit ‚und dann kam Hitler', was mich jedes Mal aufs Neue sehr mitnimmt und mich in meinen Gründen, diesen Friedensdienst zu absolvieren, bestärkt."

Zum Thema:

Kathrin Hansen war vor ihrem Freiwilligendienst schon öfter in London, daher kennt sie die touristischen Ziele gut. Sie sagt: "Viel schöner, weil authentischer, finde ich allerdings Bezirke wie Walthamstow, wo ich lebe. Hier bewahrheitet sich, dass London nicht mit dem Rest von Großbritannien zu vergleichen ist, da hier das multikulturelle Leben stattfindet und wunderbar funktioniert, weil sich hier die verschiedenen Ethnien nicht isolieren, sondern jeder an der Kultur des Anderen teilhaben kann und von ihr profitiert."

Meistgelesen
Neueste Artikel
Zum Thema
Aus dem Ressort