Feiern mit den Vertriebenen

Riegelsberg/Mariscal Estigarribia. Mit drei Freunden machte ich mich auf den langen Weg nach Mariscal Estigarribia, einer Streusiedlung in Mitten des Gran Chaco, nahe der Grenze zu Bolivien, um das Leben der indigenen Bevölkerung Paraguays kennenzulernen

Riegelsberg/Mariscal Estigarribia. Mit drei Freunden machte ich mich auf den langen Weg nach Mariscal Estigarribia, einer Streusiedlung in Mitten des Gran Chaco, nahe der Grenze zu Bolivien, um das Leben der indigenen Bevölkerung Paraguays kennenzulernen. Morgens um 4 Uhr wurden wir von Pater Rafael und seinem einzigartigen Gefährt, einem umgebauten Krankenwagen, halb Jeep, halb Transporter, empfangen. Die beiden sollten uns in den nächsten Tagen begleiten. Gleich am ersten Tag entfernten wir uns also von Handy-Signal und Zivilisation und näherten uns sieben Indianergemeinden des Nivaclé-Stammes. Die Anzeige im Armaturenbrett zeigte 51 Grad Celsius. Ein Rebhuhn flüchtete vor unserer Windschutzscheibe, und zwei Wildschweine kreuzten die vor uns liegende Sandpiste.

Hinter ein paar Militärzäunen entdeckten wir schließlich etwa 20 Indianerfamilien. Der Pater erklärte uns, dass ihr Gebiet von einem Großgrundbesitzer "beschlagnahmt" wurde. Anstatt ihre Rechte zu schützen, verwies der Staat die Indianer für 20 Jahre auf ein begrenztes Gelände. Immer wieder stellen sie sich trotz Hitze tagelang an die einzige Handelsstraße nach Bolivien, um für ihre Rechte einzutreten.

Als wir im ersten Dorf ankamen, merkte ich, dass ich nicht auf dem neuesten Stand vom "Indianerleben" bin. Seit dem Chaco-Krieg und der Einwanderung deutscher Mennoniten wurde die Isolation dieser Indianer in den 1930er Jahren zerstört. Heute wohnen sie in Hütten aus Wellblech und Mülltüten und tragen Trikots der größten Fußballclubs. Nur noch wenige betreiben den traditionellen Bohnen- oder Erdnussanbau, da sie entweder ihres Landes beraubt wurden oder als Tagelöhner auf Rinderfarmen arbeiten.

Wir spielten mit den Kindern und lernten unsere ersten Worte Nivaclé: "Hanam!" bedeutet "Der Tag mit dir!" und wird sowohl zur Begrüßung als auch Verabschiedung verwendet. Die Indios machten uns mit vielen weiteren ihrer Riten und Bräuche sowie deren Symbolik bekannt. So muss zum Beispiel ein Jäger, bevor er ein Tier erlegt, zuerst den zuständigen Geist um Erlaubnis bitten. Wir lernten viel, mussten aber auch zahlreiche traurige Geschichten hören. So durften wir einen deutschen Geistlichen treffen, der hier seit 41 Jahren arbeitet. Er schilderte: "Das Land der ärmsten Leute, Kleinbauern und Indianer, wird nach und nach vom Staat verkauft, ohne dabei auf deren Rechte zu achten. Ausländische Großfarmen lassen sich dann an ihrer Stelle nieder. Im Nachbar-Departement Alto Chaco sind 85 Prozent des Landes in der Hand von Nicht-Paraguayos. Etwa 200 000 Kleinbauern sind ohne Land." Ich resigniere ein wenig, als ich das höre. Es scheint in diesem Land voller Korruption, Unterdrückung und Einflussnahme doch nur ein Gesetz gültig zu sein: Wer Geld hat, hat Recht.

An unserem letzten Abend durften wir schließlich an den Vorbereitungen des Karnevals teilnehmen. Drei Nächte lang wird dann von Sonnenuntergang bis Sonnenaufgang, begleitet von Trommeln, Rasseln und Holzflöten, im Kreis getanzt. Ich bin begeistert von dem Spektakel und der Offenheit der Nivaclé. Anstelle von beobachtenden Blicken bekommen wir die Einladung, mitzumachen. Man fasst sich an den Händen, jubelt, ruft und feiert mit ganzer Seele. Ein wirklich unglaublicher Moment! Ja, der Chaco und seine Bewohner sind mir in einer Woche ganz schön ans Herz gewachsen. Umso glücklicher war ich schließlich am letzten Tag, als ich den Geistlichen fragte, ob es denn noch Hoffnung für dieses Land gibt. Ohne mit der Wimper zu zucken, antwortete er: "Selbstverständlich!"

Hintergrund

Der Gran Chaco ist eine Dornbuschsavanne, die sich über die nördliche Hälfte Paraguays und weite Teile Boliviens und Argentiniens erstreckt. Wegen extremer Bedingungen (Temperaturen bis 50 Grad Celsius, Dürren, große Überschwemmungen) leben im paraguayischen Teil nur drei Prozent der Bevölkerung Paraguays, darunter acht Indianer-Ethnien, die sich in Tradition, Sprache und Lebensweise unterscheiden. Etwa 14 000 der rund 100 000 Indianer Paraguays sind Nivaclé. Seit wenigen Jahren wird der Chaco größtenteils durch Rinderzucht und Sojaanbau wirtschaftlich genutzt und geprägt, der Kampf um Land, die Abholzung des Trockenwaldes und dessen Folgen sind heute eine Bedrohung für die Indianer des Chaco.

Mariscal Estigarribia hat etwa 2000 Einwohner, einen großen Militärflugplatz und ist Sitz des römisch-katholischen Vikariats Pilcomayo.

Der Chaco-Krieg (1932-35) zwischen Bolivien und Paraguay um den nördlichen Gran Chaco drehte sich um das Land, unter dem Bodenschätze vermutet wurden.

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