Die Nachbarn halfen ihr im Krieg

Riegelsberg · Auf unsere Serie über „Jüdische Familien in Riegelsberg während der NS-Zeit“ haben sich viele Leser gemeldet. Sie halfen mit ihren Erinnerungen, etwas Licht ins Dunkel der in Riegelsberg lebenden und hochangesehenen jüdischen Familien zu bringen. Viele Details haben wir über Adele Gross, geborene Samuel, erfahren, die während der Nazizeit von Nachbarn versteckt wurde.

 Adele Gross, geborene Samuel, überlebte die Judenverfolgung im Dritten Reich dank der Hilfe ihrer Familie und ihrer Nachbarn in Riegelsberg. Foto: familie gross

Adele Gross, geborene Samuel, überlebte die Judenverfolgung im Dritten Reich dank der Hilfe ihrer Familie und ihrer Nachbarn in Riegelsberg. Foto: familie gross

Foto: familie gross
 Stefan Gross, der Enkel von Adele Gross, hat noch viele Erinnerungsfotos von seiner Oma. Foto: M. Jungfleisch

Stefan Gross, der Enkel von Adele Gross, hat noch viele Erinnerungsfotos von seiner Oma. Foto: M. Jungfleisch

Foto: M. Jungfleisch

Gemeldet bei der Saarbrücker Zeitung hat sich auch Stefan Gross aus der Jahnstraße, einer der Enkel von Adele Gross. "Meine Oma Adele war eine stolze Frau, zurückhaltend und immer fröhlich. Sie war dankbar, dass sie am Leben war. Mein Vater Erich hat immer gesagt: ‚Den Krieg hätten wir nicht überlebt, wenn wir nicht so gute Nachbarn gehabt hätten‘. Damit spielte mein Vater darauf an, dass viele Nachbarn ihn, seinen Bruder Paul und seine Mutter trotz ihres Wissens über deren jüdische Abstammung geschützt haben vor der Verfolgung durch die NS-Schergen. Das Versteck in unserem Haus für meine Oma Adele befand sich in der Werkstatt. Dort hatte mein Opa Gottfried einen kleinen Kohlenkeller, von dem aus er einen Fluchtweg zu zwei Häusern nach unten gegraben hatte, zum Haus von Tante Rosalie Knauft. Nach dem Krieg hielt meine Oma regen Kontakt zu ihren Geschwistern, die in die USA emigriert waren. Mehrmals bekamen wir Besuch von Omas amerikanischer Verwandtschaft. Dann wurde viel gefeiert. Mein Opa Gottfried genoss bei seiner jüdischen Verwandtschaft großes Ansehen, da er es geschafft hatte, seine Frau und ihre beiden Kinder unversehrt durch den Krieg zu bringen und sie vor einer Deportation zu schützen."

Kuchen nach Adeles Rezept

Auch mit zwei Nichten von Adele Gross konnte die Saarbrücker Zeitung Kontakt aufnehmen. Gudella Levy, die Tochter von Adeles Schwester Erna, erreichten wir per Telefon in Forbach. Die 85-Jährige war gerade dabei, einen Gewürzkuchen nach dem Rezept von Adele Gross für ihre Enkel zu backen. Sie berichtet: "Ich kann mich noch gut erinnern, wie meine Tanten Amanda und Leonie mit ihren Kindern in Frankreich verhaftet wurden. Wie durch ein Wunder habe ich überlebt." Während sie davon erzählt, kommen ihr die Tränen, nach rund 70 Jahren! Als sich Gudella Levy wieder gefasst hat, erzählt sie, dass ihre Tante Adele selbst nach dem Krieg immer einen Koffer griffbereit im Haus stehen hatte, falls sie unerwartet das Haus hätte verlassen müssen.

Die Nichte Litwina Hippchen trafen wir im Seniorenheim in Heusweiler: "Tante Adele war eine ganz liebe, herzensgute Frau. Von ihr hätte man alles haben können." Die 1937 geborene Nichte kann sich gut daran erinnern, dass in der Familie Gross Weihnachten, Ostern und andere christliche Feste gefeiert wurden. "In den Anfangsjahren stand im Wohnzimmer auch ein siebenarmiger Leuchter, später sah ich ihn im Schlafzimmer von Adele und Gottfried. Ich habe oft gehört, dass die Nachbarn gesagt haben: ‚Wir lassen nicht zu, dass irgendjemand Adele mitnimmt‘. Was die Nachbarn damit gemeint haben, war mir als Kind nicht klar. Aber gespürt habe ich, dass es eine tiefsitzende Angst in der Familie gab, dass einer sich verplappern und dann etwas Schlimmes mit Adele passieren könnte."

Diese Erzählungen decken sich mit den Erinnerungen von Gertrud Gerlach (93) aus der Waldstraße in Riegelsberg. "Mein Mann hat Gottfried Gross gut gekannt. Er hat mir oft erzählt, dass Gottfried Gross gesagt hat: "Bei mir kommt keiner ins Haus, der meine Adele holen will. Das geht nur über meine Leiche‘. Gottfried Gross soll auch immer eine Axt neben sich am Bett gehabt haben, hat mein Mann erzählt." Adele Gross überlebte ihren Mann Gottfried, der 1964 verstarb, rund zehn Jahre. Bis auf ein Jahr, das sie nach einem Schlaganfall bei ihrem Enkel Stefan in der Steigerstraße verbrachte, lebte sie bis zu ihrem Tod 1974 in der Invalidenstraße.

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