Zu Besuch bei Pflegefamilie Westermann Viele Kinder im Regionalverband suchen dringend Pflegeeltern - so kann geholfen werden

Püttlingen · Die Püttlinger Familie Westermann nimmt seit 2007 Kinder auf, die nicht bei ihren leiblichen Eltern bleiben können. Pflegeeltern wie sie werden dringend gesucht. Hier erzählt das Paar, auf was man sich einlässt – und wie glücklich das macht.

 Familie Westermann in ihrem „Zwergenstübchen“: hinten Sabine Westermann mit Baby Emmi, Leonie (14) und Emilia. Rechts Markus Westermann mit Leon und Melanie. Vorne spielen Max und Mila. Marcel (12) war noch in der Schule.

Familie Westermann in ihrem „Zwergenstübchen“: hinten Sabine Westermann mit Baby Emmi, Leonie (14) und Emilia. Rechts Markus Westermann mit Leon und Melanie. Vorne spielen Max und Mila. Marcel (12) war noch in der Schule.

Foto: Iris Maria Maurer

In diesem Haus in einem ruhigen Püttlinger Neubauviertel wohnt viel Freude. Man hört es schon von weitem. Kinder quietschen, babbeln und lachen. Ein Hund bellt. Bunte Papp-Pilze schmücken die Fenster. Vom Hüpfpferd, übers Skateboard bis zum Laufrad – hier haben Kinder Vorfahrt, hier ist alles in Bewegung. Doch von Hektik keine Spur. Zwei Kleinkinder wuseln mit ihren Schnullerflaschen durchs Wohnzimmer. Ein Kind macht Hausaufgaben am Küchentisch. Die Älteste verzieht sich in ihr Zimmer. Ein Baby schreit, es hat Hunger – wird schnell getröstet.

Acht Kinder von 0 bis 14 Jahre

Willkommen bei Familie Westermann: Das sind Sabine und Markus, die Eltern, mit den Kindern Leonie (14), Marcel (12), Mila (8), Emilia (5), Max (eineinhalb), Melanie (2), Leon (eineinhalb) und Emmi (3 Monate). Vier der Kinder heißen eigentlich anders. Aber sie sind bei den Westermanns entweder in Dauer- oder in so genannter „Bereitschaftspflege“. Und deshalb werden wir sie hier nicht bei ihren richtigen Namen nennen. Persönlichkeitsrechte nimmt das Jugendamt sehr ernst – und die Westermanns auch.

Baby im Drogenentzug

„Das ist unsere Emmi“, begrüßt Sabine Westermann den Besuch von der Zeitung an der Tür. Drei Monate alt ist der süße Fratz – und hat schon einen Drogenentzug hinter sich. „Solche Kinder haben wir immer öfter“, erzählt Sabine und herzt die Kleine, die ihr dafür ein entzückendes Lächeln schenkt. Ein solches Baby kann anstrengend sein, schläft nicht durch, muss nachts an einen Monitor angeschlossen werden. „Ach, durchgeschlafen habe ich schon seit vielen Jahren nicht mehr“, winkt Sabine ab – und lacht dabei entspannt.

Bereitschaftspflege in Akut-Situationen

Emmi wird die Westermanns wieder verlassen. In ein paar Wochen oder Monaten, wenn es schlecht läuft, erst in einem Jahr. Denn sie ist eines von drei Kindern in „Bereitschaftspflege“. Und das heißt: Das Kind bleibt, bis juristisch geklärt ist, wie es weiter geht und ob die leiblichen Eltern doch in der Lage sind, für ihren Nachwuchs zu sorgen. Wenn nicht, entscheidet das Familiengericht auf „Dauerpflege“, das Jugendamt übernimmt. Dann ist zwar der Kontakt zu den leiblichen Eltern unter Aufsicht der Behörde weiter möglich. Doch nicht immer auch erwünscht. „Manche Kinder, die wir hier hatten, haben darunter gelitten, dass ihre leiblichen Eltern sie nie sehen wollten. Für andere war es in Ordnung“, erzählt Markus Westermann. Alle aber „hätten ihr Päckchen zu tragen“. Da darf man sich nichts vormachen.

Ältere Kinder haben schlechtere Chancen

Dass Emmi und die beiden anderen älteren Bereitschaftspflegekinder wahrscheinlich nicht so bald neue Pflegeeltern finden werden, bei denen sie dauerhaft bleiben und vielleicht von ihnen sogar adoptiert werden können, liegt am großen Mangel an Pflegefamilien. Die Corona-Pandemie hat die Lage noch verschärft. „Leider fehlen Menschen, die sich die Dauerpflege eines auch schon älteren Kindes vorstellen können“, beklagt Markus Westermann. „Dabei kann man doch auch ältere Kinder liebhaben, gucken Sie mal Leon an.“ Der Kleine tanzt zu seiner Kinder-Musikbox. Er kam vor zwei Wochen bei den Westermanns an. Seine Mutter hatte ihn beim Jugendamt quasi abgegeben. „Auch wenn es oft schlimm ist, sollte man den leiblichen Eltern vorurteilsfrei begegnen. Sie leiden in der Regel unter ihrer Lebenssituation, sind meist krank, drogenabhängig, überfordert“, sagt die erfahrene Pflegemutter. Dass Sabine und Markus, aber auch die Pflege-Geschwister, sich immer wieder von den Familienmitgliedern auf Zeit trennen müssen, ist eine emotionale Herausforderung. Denn dass Bindung entsteht, ist nicht zu verhindern, sondern gewollt.

Langsamer Übergang in die neue Familie

„Wir haben hier in den letzten Jahren schon mehr als 30 Kinder aufgenommen. Zu einigen haben wir über die neuen Pflegeeltern auch noch sporadischen Kontakt“, berichtet Sabine, die mithilft, „ihre“ Pflegekinder den neuen Eltern behutsam zu übergeben. Die Kinder werden langsam an die neue Situation herangeführt, verbringen erst wenige Stunden, dann mal ein Wochenende bei den neuen Dauerpflegeeltern. „Das dauert so lange, bis das Kind soweit ist“, berichtet Sabine. Dann kann auch sie loslassen.

Pflegeeltern aus Berufung

Das Paar betrachtet sein Engagement als „Berufung“. „Ich glaube, ich kann diesen Kindern viel mitgeben, auch wenn sie uns wieder verlassen“, sagt die gelernte Erzieherin. Mittlerweile schaffe sie es auch, erst zu weinen, wenn die neue Familie mit dem Kind aus dem Haus sei, gibt sie zu. Klar sei das bedrückend. „Aber ohne unsere Fürsorge hätten diese Kinder nie gelernt, Bindungen aufzubauen.“ Sagt es, und gibt Emmi einen dicken Kuss.

Lebenstraum „Großfamilie“

Sabine Westermann kann die Kinderschar in ihrem Haus sehr professionell in Schach halten. Und doch ist gerade die familiäre Wärme, die selbstverständliche Fürsorge und der liebevolle, zugewandte Umgang dieser gelassenen, herzlichen Frau beeindruckend, die gemeinsam mit Ehemann Markus eine Oase für gestrandete Kinder geschaffen hat. Beide haben sich damit auch ihren Lebenstraum von einer großen, kinderreichen Familie erfüllt. „Wir haben uns 2007 als Pflegeeltern beim Jugendamt beworben, als es bei uns mit dem Kinderkriegen nicht geklappt hat“, erzählt sie – und will anderen damit Mut machen. „Pflegeeltern sind dringend gesucht.“ Beide empfinden das, was sie tun, als Bereicherung. Man spürt diese positive Energie, die Liebe im ganzen Haus. Als erste kam Leonie, heute 14, zur Dauerpflege. Die Westermanns konnten sie adoptieren. Genauso wie Marcel (12) und zuletzt den kleinen Max. „Zu dessen Mutter hatten wir noch bis vor kurzem Kontakt“, sagt die Pflegemutter. Wichtig sei, mit allen offen mit dem Thema umzugehen.

Und dann noch zwei Hunde

Als die Kinder mit der Zeit immer zahlreicher wurden, tauschte das Paar sein Kleinfamilien-Quartier gegen ein 260qm-Haus in Püttlingen, wo auch noch zwei Hunde Platz fanden. „Gerade schüchterne, traurige Kinder locken die Tiere aus der Reserve“, erzählt Markus. Er arbeitet bei Saarstahl als Lokführer im Schichtdienst. Wenn er zu Hause ist, hängen die Kinder an ihm und die „Oase Westermann“ muss gepflegt werden. Da erübrigt sich die Frage nach Hobbys. Langweilig wird es bei den Westermanns nie.

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