Vergangenheit, in Papier gefasst

Püttlingen · Ein Archiv ist das Gedächtnis einer Stadt", sagt Michael Müller . Und er muss es wissen, denn er war über ein Vierteljahrhundert Archivar der Stadt Püttlingen - und ist es irgendwie noch immer: Auch nach seiner Pensionierung vor drei Jahren betreut er das Archiv.

 Reihe um Reihe stapeln sich die Akten bis unter die Decke: Michael Müller in einem der Räume des Püttlinger Stadtarchivs. Foto: Jenal

Reihe um Reihe stapeln sich die Akten bis unter die Decke: Michael Müller in einem der Räume des Püttlinger Stadtarchivs. Foto: Jenal

Foto: Jenal

Was ein sehr deutliches Indiz ist, dass er seinen Beruf gerne ausgeübt hat: "Ich hatte das große Glück, mein Hobby teilweise zum Beruf zu machen", schildert der fast 68-Jährige, der auch als Heimatkundler bekannt ist, ehrenamtlich die VHS Püttlingen leitet, Vorsitzender des Heimatkundlichen Vereins Püttlingen ist und Vorstandsmitglied im Freundeskreises alter Uhrmacherkunst, der das Saarländische Uhrenmuseum betreut.

Offiziell gibt es derzeit das Amt des Archivars in der Püttlinger Stadtverwaltung gar nicht mehr. Möglich, dass es im Zuge kommunaler Zusammenarbeit irgendwann einen Archivar für mehrere Kommunen gibt, doch konkrete Entscheidungen stehen noch aus.

"Mein Turmzimmer", nennt Müller sein kleines Büro unter dem Rathausdach augenzwinkernd - der Blick aus dem einzigen kleinen Fenster geht Richtung Schlösschen. Nahe seines Büros liegen auch die Räume des eigentlichen Archivs. Dort gibt es Fotos, Dias, Karten, Filme, Mikrofilme, Videos und vor allem Schriftstücke: In Regalen vom Boden bis zur Decke reihen sich unzählige Aktenordner aneinander. Und in einer Ecke, fast versteckt, führen ein paar Stufen zu zwei weiteren Räumen mit Ordnern - sie liegen etwas höher, weil sich genau darunter der große Sitzungssaal befindet. Auch Baugeschichte könnte man hier bestaunen, denn eine Tür führt von den Archiven über eine schmale Treppe direkt unter das Dachgebälk und zum kleinen Rathausturm.

Die alten Akten - einige Kartons zwischen den Regalreihen harren noch der Bearbeitung - sind natürlich handschriftlich verfasst, und wenn man in ihnen blättert, sieht man, dass die Schreiber in den alten Tagen im Umgang mit Tinte und Feder geübt waren: Viele Schriftstücke sehen wie aus einem Guss aus, exakte Schwünge und Spitzen, exakt auf Linie.

Die ersten mit Schreibmaschine geschriebenen Akten tauchen ab 1905 auf, nach dem Ersten Weltkrieg wird die Handschrift dann komplett von der Schreibmaschine verdrängt, die wiederum in den 1990ern vom Computer und entsprechenden Ausdrucken abgelöst wird. Heute wird vieles nur noch als Computerdatei gespeichert.

Müller, der auch immer wieder - und gerne - Fragen von Ahnenforschern beantwortet, hat sich im Laufe der Zeit die alte Deutsche Kurrentschrift angeeignet - oder eigentlich Schriften: "Jede Kanzlei hatte ihre eigene Schrift" - und ebenso die spätere Sütterlinschrift. Eine Sache bedauert Michael Müller : "In vielen Kommunen wird die Archivarbeit heute sträflich vernachlässigt."

Für sich selbst freut er sich, dass die Arbeit im Stadtarchiv auch seinem Rentnerdasein eine feste Struktur gibt. Und wie lange will er sich noch ums Püttlinger Archiv kümmern? "Solange ich gesund bin und meine Dienste benötigt werden."

Die ältesten Unterlagen im Püttlinger Stadtarchiv sind einerseits ganz profan, andererseits mit kleinen Kunstwerken - handgezeichneten Karten - verbunden: Michael Müller zieht einen von sechs etwa zehn Zentimeter dicken, erst nachträglich gebundenen Wälzern aus einem Regal - die Püttlinger Bannbücher von 1786.

Die Besitzverhältnisse waren damals kompliziert: Einst war Püttlingen eine Besitzung des Bistums Metz und gehörte so dem französischen Staat, war also eine französische Enklave innerhalb der Herrschaft von Nassau Saarbrücken. Gleichzeitig war Püttlingen ein französisches Lehen der von der Lahn stammenden Grafen von Wied-Runkel (Müller: "Die waren weit weg, und so haben die Püttlinger auch damals schon gemacht, was sie wollten"). In den Jahren zuvor hatte Frankreich - um ein wenig Ordnung ins Gebietschaos zu bekommen - Gebiete getauscht, und auch die Grafen von Wied-Runkel hatten kein Interesse mehr an dem "abgelegenen" Gebiet. So verkaufte Christian von Wied-Runkel Püttlingen an die Grafen von Nassau-Saarbrücken, wozu er besagte Bannbücher erstellen ließ. Dort ist genau verzeichnet, wo welche Häuser liegen, wie groß sie sind, welche Gärten und Äcker dazu gehören und welche Steuerlast.

Die damals aufgezeichneten Bann-Nummern sind sogar als Grundstruktur (inzwischen gibt es weitere Nummern) bis heute erhalten. Und zu diesen Bannbüchern wurden liebevoll handgezeichnete Karten angefertigt, farbig gestaltet. Die Schönheit der Karten erkannten wohl auch andere, denn leider wurden irgendwann im Laufe der Geschichte etliche der Karten herausgetrennt und sind heute verschwunden.

Spätere Unterlagen aus der "preußischen Zeit" (1815-68) sind in Völklingen eingelagert, denn damals war das verdächtig frankophile Püttlingen dem kleineren Völklingen zugeschlagen worden, das zur preußischen Rheinprovinz gehörte. Doch als durch die Industrialisierung die Bevölkerung in Püttlingen schließlich sechs bis sieben Mal so groß war wie nur zwei Generationen zuvor, wurde Püttlingen 1868 zur selbstständigen Bürgermeisterei - und seither lagern auch die Akten in Püttlingen : Da gibt es das Standesamtsregister, das den meisten Platz im Archiv beansprucht und das, so Müller, "eine gerne genutzte Quelle für Familienforscher" ist. Es gibt Unterlagen zu Gerichtsverhandlungen und seit 1868 vollständig erhalten die Beschluss- und Protokollbücher des Stadtrates.

Auch die alten, meist von den Rektoren geführten Schulchroniken lagern hier - wir schlagen willkürlich eine Schulchronik auf und erfahren von einem Lehrerausflug, gemeinsam mit anderen Schulen, am Mittwoch, 16. Juli 1902, nach Neuhaus, wo sich die Lehrer der verschiedenen Schulen offenbar einen kleinen Sängerwettstreit lieferten.

Sogar alte Zeugnislisten findet man im Archiv, in denen die Noten der Schüler festgehalten sind. Müller bekennt: "Ich habe mal nachgeschaut - mein Großvater war offenbar kein Dummer!"

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