Je weniger Ich um so schwerer das Leben

Püttlingen. Zwei im realen Leben freundliche und nette Pflegerinnen geben sich plötzlich nervig und zickig: "Nun gib mir doch endlich die Schlappen, Opa", drängelt Aline Laux. "Wir brauchen deinen Kutlurbeutel! - Deinen Kulturbeutel!", stimmt Katharina Weber ein. Warum die beiden das tun? Sie wollen mir vor die verbundenen Augen führen, wie sich Demenzkranke im Alltag fühlen.Beim Tag der Pflege im Püttlinger Knappschaftskrankenhaus war am Sonntagnachmittag Demenz ein zentrales Thema. Nun gut: Die Schlappen, die vor mir ausgebreitet auf dem Tisch liegen sollen, habe ich nie gesehen, die müssten aber doch an den Sohlen zu ertasten sein. Sind sie aber nicht, da es sich um einen einzelnen Stoffschlappen mit Schaumstoffeinlage handelt. Ganz fies sogar die Sache mit dem Kulturbeutel: "Hier, das ist der Kulturbeutel", sagen die beiden Pflegerinnen lächelnd, während sie nach dem Ende des Experiments einen Schlüsselanhänger in Form des verlangten Beutels hochhalten. Ohne dass es die beiden erklären müssen leuchtet es mir ein: Klar, hätte ich Demenz, könnte mein Gehirn unter Umständen auch überhaupt nichts oder etwas Falsches mit dem vom Ohr gemeldeten Begriff verbinden.

 Auch die Endoskopie konnte man zum Tag der Pflege im Knappschaftsklinikum Saar in Püttlingen besichtigen, hier zeigen Simone Fries und (vorne) Gabriele Phiippi einen "endoskopischen Eingriff" an einem Dummy. Fotos: Jenal

Auch die Endoskopie konnte man zum Tag der Pflege im Knappschaftsklinikum Saar in Püttlingen besichtigen, hier zeigen Simone Fries und (vorne) Gabriele Phiippi einen "endoskopischen Eingriff" an einem Dummy. Fotos: Jenal

Püttlingen. Zwei im realen Leben freundliche und nette Pflegerinnen geben sich plötzlich nervig und zickig: "Nun gib mir doch endlich die Schlappen, Opa", drängelt Aline Laux. "Wir brauchen deinen Kutlurbeutel! - Deinen Kulturbeutel!", stimmt Katharina Weber ein. Warum die beiden das tun? Sie wollen mir vor die verbundenen Augen führen, wie sich Demenzkranke im Alltag fühlen.Beim Tag der Pflege im Püttlinger Knappschaftskrankenhaus war am Sonntagnachmittag Demenz ein zentrales Thema. Nun gut: Die Schlappen, die vor mir ausgebreitet auf dem Tisch liegen sollen, habe ich nie gesehen, die müssten aber doch an den Sohlen zu ertasten sein. Sind sie aber nicht, da es sich um einen einzelnen Stoffschlappen mit Schaumstoffeinlage handelt. Ganz fies sogar die Sache mit dem Kulturbeutel: "Hier, das ist der Kulturbeutel", sagen die beiden Pflegerinnen lächelnd, während sie nach dem Ende des Experiments einen Schlüsselanhänger in Form des verlangten Beutels hochhalten. Ohne dass es die beiden erklären müssen leuchtet es mir ein: Klar, hätte ich Demenz, könnte mein Gehirn unter Umständen auch überhaupt nichts oder etwas Falsches mit dem vom Ohr gemeldeten Begriff verbinden.

Ähnlich ergeht es mir an der Station von Sabrina Kavelius und Ezgi Güven. "Bitte Handschuhe anziehen, die simulieren die Sensibilitätsstörung, die bei Demenz auftritt", fordert Sabrina freundlich. Die Brille, die sie mir außerdem verpassen, verwischt nicht nur alle Konturen. Wie beim Blick durch die Wasseroberfläche scheine ich plötzlich einen Knick in der Optik zu haben. Dann schalten auch die neuen "Helfer" von freundlich auf nervig: "Gib mir die Tabletten! Nein, nicht die in der Schachtel. Die kleinen grünen aus dem Tabletten-Dispenser, die kennst du doch!" - Ein wahres Wort-Bombardement prasselt auf mich ein. Unter Druck kann ich zwar den Tabletten-Portionierer ertasten und aufschieben. Aber sonst ist nichts zu erkennen.

Als ich nach Ende des Experimentes die Brille abnehmen darf, soll ich versuchen, nach den Erbsen zu greifen, die hier die "grünen Tabletten" spielen. Auch das ist nicht einfach mit den Stoffhandschuhen.

"Demenz-Patienten leben in einer anderen Welt", erklärt der Chef-Neurologe am Püttlinger Klinikum Doktor Jürgen Guldner. Mit solchen Demonstrationen will er für Verständnis werben: "Die Angehörigen im Umfeld verstehen es oft nicht, dass selbstverständliche Abläufe nicht mehr funktionieren oder ein Schlüssel plötzlich wie verschwunden ist."

Aber es ging nicht nur um Demenz an diesem Tag der Pflege, sondern auch um die Vorstellung der Pflegeberufe. Zudem konnte man auch die Abteilung für Endoskopie (Stichwort "Schlüsselloch-Chirurgie") besichtigen. Die Schmerztherapie war ein weiteres wichtiges Thema: Helmut Baldauf weiß, was gegen anhaltende Schmerzen hilft. Etwa in den Gelenken der Hände. Nämlich heiße Steinchen, eisige Erbsen oder Eis-Lollys. Kleine Kiesel, die man in der Zoohandlung beim Aquarien-Bedarf findet, könne man in der Backröhre auf 40 bis 50 Grad aufheizen, die kommen dann in eine große Schüssel. Tatsächlich tut es gut, beide Hände beherzt in die Steinchen zu stecken. "Einem tut die Wärme gut, dem anderen die Kälte", erklärt Baldauf.

Das kalte Pendant zu den heißen Steinchen sind Erbsen, die in einen Stoffsack gewickelt im Eisfach übernachtet haben. Sie sind so richtig schön kalt, und auch hier dprfen die Patienten beherzt die Hände reinstecken.

Der "Eislolly" ist quasi ein Wasser-Eis am Stiel, es wird direkt über die schmerzende Stelle am Körper gerieben. Auch wenn es der Name nahelegt, für die innere Anwendung ist er nicht gedacht. - Da muss man dann schon später in die Eisdiele gehen.

Hintergrund

 Wie fühlt man sich als Demenzkranker? Unser Mitarbeiter Andreas Lang (links) testet den "Demenz-Parkour", von rechts: Katharina Weber, Aline Laux, Leslie Hovak-Mathieu.

Wie fühlt man sich als Demenzkranker? Unser Mitarbeiter Andreas Lang (links) testet den "Demenz-Parkour", von rechts: Katharina Weber, Aline Laux, Leslie Hovak-Mathieu.

Demenz ist ein Nachlassen der geistigen aber auch der emotionalen und sozialen Fähigkeiten. Es gibt verschiedene Formen dieser Erkrankung des Gehirns (die häufigste Form ist Alzheimer). Zunächst ist insbesondere das Kurzzeitgedächtnis betroffen, aber auch Denkvermögen, Sprache und Motorik, letztlich die ganze Persönlichkeitsstruktur können betroffen sein. Demenz tritt fast immer erst nach dem 60. Lebensjahres auf, es ist die häufigste "Alterskrankheit". red

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