Die vielen Seiten Europas

Püttlingen. Die von der VHS Püttlingen initiierte, Diskussionrunde "Auf der Bank im Wartesaal" fand am langen Tisch, der an eine Hochzeitstafel gemahnte, in der Stückguthalle des Kulturbahnhofs statt. Das Wetter war mies, und nur wenige Leute waren gekommen. Soweit zum mäßigen Drumherum. Drinnen steckte jedoch Spannendes. Der EU-Politiker Jo Leinen war zu Gast

Püttlingen. Die von der VHS Püttlingen initiierte, Diskussionrunde "Auf der Bank im Wartesaal" fand am langen Tisch, der an eine Hochzeitstafel gemahnte, in der Stückguthalle des Kulturbahnhofs statt. Das Wetter war mies, und nur wenige Leute waren gekommen. Soweit zum mäßigen Drumherum. Drinnen steckte jedoch Spannendes. Der EU-Politiker Jo Leinen war zu Gast. Das Moderatoren-Duo Georg Fox und Erich Keller war bestens vorbereitet und stellte interessante Fragen. Die Veranstaltung ging über drei Runden, musikalisch umrahmt von Musikschulleiter Stefan Weber an der Gitarre. Allein eine Zusammenfassung aller angesprochenen Bereiche - vom Grenzschutz in Malta bis zur Krankenhaus-Aufbauhilfe für Gaza - würde den Rahmen dieses Berichts sprengen. Keller und Fox provozierten den Politiker zu allerlei Aussagen und Prognosen. Im Folgenden eine kleine Auswahl, gedacht zum Nachdenken, zum Weiterdiskutieren, zum Widersprechen und Nachhaken:Thema Europäische Einigung: Für Deutschland ist die europäische Einigung Staatsräson. Durch die Mittellage hatten wir immer Feinde. Eine Vereinigung war für Deutschland ein strategisches Ziel. Es wird immer Deutschland, Frankreich, Italien und die anderen geben. Die Nationen verschwinden nicht. Sie bekommen neue Möglichkeiten. Das Projekt Europa ist eine Baustelle, und es wird noch ein, zwei Generationen eine bleiben. Europa geht so weit, wie wir globale Probleme beherrschen wollen und uns nicht von globalen Problemen beherrschen lassen. Re-Importe: Bei Medikamenten würde ich mir nichts aus dem Internet holen. Umweltschutz: Die Glühbirne gehört auf den Sperrmüll, weil sie 90 Prozent Wärme und zehn Prozent Licht erzeugt. Entwicklungshilfe: Wir sind nicht so gut, wie wir sein müssten. Aber wir helfen mehr als die anderen. Friedenshilfe in Gaza: Die Macht hat nur Amerika. Europa ist wirtschaftlich ein Riese und politisch ein Zwerg. Oskar Lafontaine: Mein Verhältnis zu Oskar Lafontaine ist ein Nicht-Verhältnis, weil sein Ego sämtliche Maßstäbe verbogen hat. Er will immer die Nummer eins sein. Ab dem Moment, als er kein Kanzler wurde, hat er verrückt gespielt. Das Tischtuch ist zerschnitten. Saarland: Wir haben eine Mittellage und können touristisch noch mehr daraus machen. Der Saar-Lor-Lux-Raum ist eine Sensation. Geschichtlich, kulturgeschichtlich, industriegeschichtlich. Wir sind eine Logistik-Drehscheibe. ... Ich wünsche mir, dass die Regionen ein gemeinsames Leitbild entwerfen. Euro: Der Euro war eine Vollkaskoversicherung. Ärgerlich, dass sich die Kleinpreise alle verdoppelt haben. Ich war für doppelte Preisauszeichnung. Wirtschaftskrise: 2009 kann man total vergessen. Es sollen noch zehnmal mehr faule Papiere im Keller sein. Deshalb werden wohl noch mehr Banken in die Knie gehen. ... Wenn es gar keinen Kredit mehr gibt, bricht alles zusammen. Es wird mir ja auch schwarz vor den Augen, wenn ich die Zahlen sehe. "Das Schöne an Europa": Man kann von einander lernen. Zum Beispiel das skandinavische Modell. Also Bildung, Bildung, Bildung und eine bessere Kombination von Familie und Beruf.

Zur PersonJo Leinen (Foto: dpa) 1948 in Bisten geboren, hat Jura studiert und war Rechtsanwalt in Freiburg, ehe er Landtagsabgeordneter (SPD) und saarländischer Umweltminister wurde. Seit 1999 ist der Püttlinger Mitglied des Europäischen Parlaments. Er ist Vorsitzender des Ausschusses für konstitutionelle Fragen und hat die Initiative "Europa eine Seele geben" erfunden. hof

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