Anekdoten aus dem „Ecken“

Püttlingen · Straßen erzählen Geschichten. Man muss sie lesen können. Die Hermannstraße, auch „Ecken“ genannt, hat den Püttlinger Gerhard Ballas zum Heimatforscher gemacht. Er stammt von dort.

Eigentlich fühlt sich Gerhard Ballas nicht als Heimatforscher . Lange Jahre saß er im Stadtrat, war Beigeordneter, heute kümmert er sich als Vorsitzender des Landesseniorenbeirates um Belange der Ruheständler. Keine Zeit für Heimatforschung also. Bis ihm Franz Reimringer vom Heimatkundlichen Verein Püttlingen zu seinem Sechzigsten eine Fotokopie in die Hand drückt, einen Text ohne Zeit- und Autorenangabe zum Thema "Erinnerungen aus dem alten Püttlingen - was eine der ältesten Dorfstraßen erzählt." Es geht um die Hermannstraße. In Bengesen knickt sie rechtwinklig von der Marktstraße ab. Kurz ist sie, und eigentlich eine Sackgasse, lediglich Fußgänger und Zweiradfahrer kommen über die benachbarte "Eckles Mühle" (ein Heimatthema für sich) und ein Brücklein über den Köllerbach in den Stadtteil Berg. Ältere Püttlinger kennen die Hermannstraße als "Ecken".

Ballas ist "im Ecken" geboren und groß geworden. Der erwähnte Text weckte sein Interesse. Er recherchierte, dass Heinrich Contier, achtes von neun Kindern des Klempnermeisters Franz Contier und dessen Frau Katarina Plein, den Text geschrieben hat. Contier, geboren am 20. Februar 1897, Lehrer, Heimatforscher und Hobbyimker, beschreibt liebevoll, im gepflegten Schreibstil das Leben von "Wir Dorfbuben" vor 1917, als es im Ecken nur sieben Häuser gab. Contier berichtet von der Apotheke am Eingang der Hermannstraße, deren Betreiber war ein kinderloser wortkarger Mann, der sich "von" nannte.

Alle Häuser hatten damals ihre eigene Bezeichnung wie "Drunnen" und "Driwwen", wie das Haus von "Baus Marie", "Pitte Welsch", "Tante Len" oder Lenen Hannes. Zitieren wir Beispiele aus den Erinnerungen von Heinrich Contier: Von Lenen Hannes lernten die Dorfbuben das Fischen im Köllerbach: "Manch schönen Fisch konnten wir dem Lenen Hannes wegangeln, den wir uns in Konches Bienenhaus kunstgerecht zubereiten konnten", garniert mit Geschichten von Kobolden und Nixen, die angeblich den Bachlauf bewohnten.

Der "Welschpitt" beherrschte die Kunst des Schuhemachens. Ältere Frauen wie "ess Male", "Bäbbe", "Lies" oder "Tante Len" fühlten sich für die Moral der Töchter und jüngeren Frauen im Ecken und für den Strickstrumpf verantwortlich.

Gerhard Ballas hat über den Contier-Text hinaus recherchiert und unter anderem erfahren: Eines der ersten Häuser war das Haus der Drowwen (Meyers Haus), das 1854 erbaut wurde, 1864 das Haus vom "Baus Marie". Beide Häuser wurden 1997 abgerissen und es wurde das Wohn- und Geschäftshaus Marktstraße 21 errichtet. Der Name Hermannstraße geht vermutlich auf die Euphorie nach dem gewonnenen Krieg 1870/71 zurück und in Erinnerung an "Hermann den Cherusker" mit seiner legendären Schlacht im neunten Jahrhundert gegen den römischen Heerführer Varus im Teutoburger Wald. Anfang des 20. Jahrhunderts wurde die heute verwaiste Mühle gebaut. Sie hat mit der Entstehung der Hermannstraße nichts zu tun.

Ballas will weiter forschen: "Vielleicht schreibe ich ja mal die Fortsetzung der Erinnerungen aus dem alten Püttlingen mit Schwerpunkt auf die Geschichte der Hermannstraße."

Anlass seiner jetzigen Initiative war eine Nachfrage eines Heimatforschers und ein Brand neulich im Haus Nummer 9 in der Hermannstraße. Es handelt sich um das Wohngebäude der Urgroßeltern von Ballas, das Haus der Drunnen. In dem Türstock ist zu lesen, dass es 1873 gebaut wurde, also in der Anfangszeit des Eckens.

Wer mehr Infos zur Hermannstraße hat, kann sich bei Gerhard Ballas melden, Telefon (0 68 98) 6 66 68.

Meistgelesen
Neueste Artikel
Zum Thema
Aus dem Ressort