Marxismus und Psychologie Psychoanalyse, Marx und Neoliberalismus

Saarbrücken · Die beiden saarländischen Psychoanalytiker – Univ. - Prof. em. Dr. med. Siegfried Zepf und Dipl.– Psych. Dietmar Seel – haben in ihrer Streitschrift den Zusammenhang zwischen „Psychoanalyse und politische Ökonomie“ (so der Titel) aus marxistischer Perspektive untersucht. Am kommenden Dienstag stellen die beiden ihr Buch in Saarbrücken vor. David Lemm hat sich mit ihnen unterhalten.

In ihrer Streitschrift untersuchen Sie die psychoanalytische Praxis und Ausbildung aus der Perspektive der Marx’schen Warenanalyse. Warum haben Sie diesen (sperrigen) Zugang gewählt?

Wir haben diesen Zugang gewählt, weil aus dieser Perspektive erkennbar wird, um was es – wie in jeder Dienstleistung – auch in der psychoanalytischen Behandlung wirklich geht, nämlich um die Realisierung des Tauschwerts, d.h. ums Geldverdienen. Den Einfluss, den der Verdienst auf die praktische Tätigkeit des Therapeuten hat, ist heute allerdings kein Objekt der Forschung.

Das Geschäft mit der Psychotherapie boomt. Menschen nutzen diese Dienstleistung heute viel selbstverständlicher als früher. Was hat das für Auswirkungen auf den Berufsstand?

Das heißt zunächst einmal, dass die analytischen Psychotherapeuten, zu denen die Psychoanalytiker heute geworden sind, ganz gut von ihren Einkünften leben können. Die Auswirkung auf die Ausbildung ist offensichtlich. Die erste Psychoanalytikergeneration waren Sonderlinge, Träumer, Sensitive, von denen im Urteil von Anna Freud heute nur eine Minderheit zur Weiterbildung an einem Ausbildungsinstitut für analytische Psychotherapie zugelassen würde. Heute wird der Zulassungsfilter am ehesten von Normopathen (Cremerius, Thomä), „dull normals“ (Kernberg) passiert, von konservativen, angepassten Zeitgenossen, die im Wesentlichen die Annehmlichkeiten der ökonomischen und sozialen Privilegien des Kleinbürgers im Auge haben.

Worin besteht der Hauptunterschied zwischen Psychoanalyse und Psychotherapie?

Es gibt verschiedene Formen der Psychotherapie – tiefenpsychologische, Verhaltens-, humanistische, systemische etc. –, sodass wir den Unterschied, nach dem Sie fragen, nicht differenziert, sondern nur allgemein bestimmen können. Wir können sagen, dass im Unterschied zu Formen der Psychotherapie die Psychoanalyse – dem Anspruch nach – geschichtlich orientiert ist und hermeneutisch operiert. Sie versucht, über die unbewussten Determinanten, über den Sinn, den Stellenwert eines aktuellen Symptoms oder Charakterzuges in der erlebten Lebensgeschichte aufzuklären. In der heutigen Versorgung existiert die Psychoanalyse nur noch als analytische Psychotherapie, mit Jahr für Jahr abnehmender gesellschaftlicher Bedeutung.

Ist die Psychoanalyse ein Herrschaftsinstrument?

Die Psychoanalyse war zu Zeiten Freuds kein Herrschaftsinstrument. Indem sie inzwischen ihre Patienten entsprechend der vorherrschenden Ideologie nachsozialisiert und das Unbewusste in gesellschaftskonforme Ersatzbildungen einbindet, ist sie es geworden. In ihrer Mehrheit haben sich die Psychoanalytiker in diese Tendenz eingepasst.

Sie sind selbst Teil des Systems. Niemand hat bisher eine wissenschaftliche Methode zum Messen der Ergebnisse der „Enträtselung der Seele“ erarbeitet. Liegt der Erfolg einer psychoanalytischen Theorie also im Auge des Betrachters?

Eine Theorie ist entweder wahr oder unwahr und der Erfolg, d.h. ihre Akzeptanz, entscheidet nicht über ihren Wahrheitsgehalt. Das zeigt uns schon der Umgang der Kirche mit Galileo. Unserer Meinung nach ist die Psychoanalyse wie die Psychotherapie keine Naturwissenschaft. Solange sie wie eine Naturwissenschaft beforscht wird, können ihre Möglichkeiten und Behandlungsergebnisse nicht angemessen dargestellt werden.

Inwiefern begünstigen neoliberale Ideologien eine „déformation professionelle“? Ist es nicht normal und zu begrüßen, dass die psychoanalytischen Ausbildungsinstitute mit der Zeit gehen und sich neu ausrichten?

Wenn im Einvernehmen mit der neoliberalen Ideologie es das therapeutische Ziel sein soll, das Widerstandspotential, das im Unbewussten noch außer Begriff ist, in Bewusstseinsformen einzubinden, welche die herrschenden Verhältnisse stabilisieren, unter denen die Menschen in ihrer Seele erkranken, ist von einer solchen „déformation professionelle“ zu sprechen.

Wie kann man den Berufsstand retten?

Die Frage ist hier eher, ob es an diesem Berufsstand noch etwas gibt, was zu retten ist und ob es sich zu retten lohnt. Vielleicht ist die Psychoanalyse längst verstorben und lebt nur mehr kosmetisch präpariert weiter, weil man ihr die Nachricht von ihrem gelungenen Ableben aus stan­despoli­ti­schen Interessen noch vorenthält. Die Zahlen sprechen für sich: seit 2015 nimmt die Zahl der abgerechneten analytischen Psychotherapien (AP) kontinuierlich ab. An den Universitäten kommt die Psychoanalyse seit Jahren so gut wie nicht mehr vor. Man hat sich offensichtlich damit abgefunden, als Psychodynamische Therapie einen Nischenplatz einzunehmen. War zu Freuds Zeiten die Psychoanalyse noch ein „Stachel“, ist sie heute, wie ein Kollege einmal meinte, zu einem „Mitesser“ geworden.

Buchvorstellung (Veranstalter: Heinrich-Böll-Stiftung Saar / Ludwig Hofstätter)

Dienstag, 28. 01. 2020 / 19.00 Uhr

Buchhandlung St. Johann / Kronenstr. 6 / 66111 Saarbrücken

Der Eintritt ist frei.

Buch: Siegfried Zepf & Dietmar Seel: Psychoanalyse und politische Ökonomie – Kritik der psychoanalytischen Praxis und Ausbildung, Psychosozial-Verlag, Gießen 2019, 225 Seiten, 29,90 Euro.

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