Nach türkischen Angriff Protest gegen „Genozid“ in Nord-Syrien

Saarbrücken · Der türkische Angriff treibt auch im Saarland Kurden auf die Straße. Sie fühlen sich von Deutschland im Stich gelassen.

 In dieser Woche demonstrierten Kurden in der Saarbrücker Innenstadt fast täglich gegen Erdogan.

In dieser Woche demonstrierten Kurden in der Saarbrücker Innenstadt fast täglich gegen Erdogan.

Foto: BeckerBredel

Es herrscht ein reges Kommen und Gehen im Kurdischen Gesellschaftszentrum (KGZ) in der St. Johanner Straße in Saarbrücken. Auf einem Fernseher in der Ecke laufen ununterbrochen Nachrichten, immer wieder bleibt ein Besucher stehen, um sich die neusten Meldungen anzusehen, bevor er weiterhastet. Der Saarbrücker Verein ist die Einsatzzentrale der Kurden, die seit Tagen in Saarbrücken und der Region gegen den türkischen Angriff auf kurdische Milizen protestieren. Trotz hochemotionaler Stimmung verliefen bisher alle Demonstrationen friedlich. Die Blockaden am vergangenen Sonntag am Saarbrücker Hauptbahnhof, die sich erst durch massives Polizeiaufgebot auflösten, waren eine spontane Aktion und hätten nichts mit dem Verein zu tun, stellt Dilan Akdogan klar. Die 27-jährige Jurastudentin ist Vorstandsmitglied und Sprecherin des KGZ.

Außerdem stand sie lange unter Beobachtung des Verfassungsschutzes. Einziger Grund: Ihr Engagement im KGZ, so Akdogan. „Nur weil ich in einem gemeinnützigen, eingetragenen Verein mitarbeite!“ sagt sie und klingt fassungslos. Nicht die einzige Repression, unter der sie und andere Kurden aus ihrer Sicht hier in Deutschland zu leiden haben. Bei jeder Demonstration gäbe es neue Diskussionen wegen der Flaggen. Symbole der PKK – die kurdische Arbeiterpartei, die von der Türkei und der EU als Terrorvereinigung eingestuft wird, nicht aber von den Vereinten Nationen – dürfen in Deutschland nicht gezeigt werden. Theoretisch – in der Praxis lege jedes Bundesland dieses Verbot anders aus, auch die persönliche Einschätzung der polizeilichen Einsatzleiter spiele eine Rolle. In Luxemburg wiederum habe es dagegen keine Probleme gegeben. Für Akdogan eine klassische Zermürbungstaktik, von der sich die Kurden allerdings nicht beeindrucken ließen. Sowieso müsse die Bewertung der PKK und ihrer Symbolik neu überdacht werden.

Momentan ist Erdogans Angriff auf Nordsyrien jedoch das drängendere Problem. Akdogan fühlt sich in Stich gelassen – von den USA, für die kurdische Milizen gegen den IS kämpften und starben und deren Präsident den Kurden jetzt dennoch vorwirft, gefangene IS-Kämpfer absichtlich freizulassen. „Kämpfer, die unsere Frauen vergewaltigen!“ kommentiert Akdogan kopfschüttelnd. „Wieso sollten wir die freilassen?“ Im Stich gelassen aber auch von der deutschen Regierung, welche der Türkei die Waffen geliefert habe. Ein Opfer davon ist Havrin Khalaf, kurdische Frauenrechtlerin, hingerichtet von islamischen Milizen im Dienst der Türkei. Es kursieren Videos von ihrem mit Kugeln durchsiebten Auto in den sozialen Medien, außerdem Gerüchte, sie sei zuvor vergewaltigt worden. Hält Akdogan Erdogans Krieg auch für einen Krieg gegen die Frauen? Sie nickt.

Die islamisch-türkische Organisation Ditib wollte sich zu der Offensive nicht äußern. Ihr wird immer wieder vorgeworfen, in ihren Moscheen Antisemitismus und IS-Terror zu verherrlichen. Sie gilt als verlängerter Arm des türkischen Staates in Deutschland. Trotzdem habe Ministerpräsident Tobias Hans (CDU) die Schirmherrschaft beim Türkeifest im Juni im DFG übernommen, welches von Ditib mitorganisiert worden war. „Ins KGZ ist er nicht gekommen, obwohl wir ihn eingeladen haben“, sagt Akdogan. Diese Einladung bestehe aber weiterhin.

Akdogan ist nicht die einzige Frau, die in dieser Sache selbstbewusst ihre Stimme erhebt. Bei der Demonstration am Dienstag waren auch Jasmin, Rojin und Dünya anzutreffen. Bevor es losging, banden sich die 16-jährigen Freundinnen Kopftücher mit traditionellen kurdischen Blumenmustern um, sie wirkten aufgeregt, aber entschlossen. Ihre Eltern flüchteten vor rund 20 Jahren nach Deutschland, alle drei wurden hier geboren und besitzen die deutsche Staatsbürgerschaft. „Wir wollen gegen Erdogans Genozid demonstrieren“, erklärten sie. Das Wort „Genozid“ sei dabei mit Bedacht gewählt: Der Angriff des türkischen Präsidenten diene keinen anderen Zweck als der Auslöschung der Kurden. Wieso er das tue? Auch hier fand eines der Mädchen harte Worte: „Ich finde, Erdogan hat gewisse Charaktereigenschaften, die auch Hitler hatte.“ Gerade deshalb, fügten sie später hinzu, „müssen wir dagegen ein Zeichen setzen.“ Wohlgemerkt: Sie meinen „wir“ als Deutsche.

Mit 400 Demonstranten, begleitet von Dutzenden Polizisten, zogen die Mädchen später durch die Innenstadt, riefen dabei „Terrorist Erdogan“, auch die Bezeichnungen „Faschist“ und „Kindermörder“ fielen. Dazwischen immer wieder „Hoch die internationale Solidarität“.

 Aber davon merkte man an diesem Abend wenig: Die meisten Protestierenden waren Kurden. Sylvia S.-H. (59) aus dem Regionalverband Saarbrücken fand das „enttäuschend“: Sie hatte gehofft, dass mehr Deutsche ihre Unterstützung für die Kurden zeigen. Vielleicht erfüllt sich dieser Wunsch ja an diesem Samstag, dem 19. Oktober, wenn die KGZ um 14 Uhr erneut vor der Europa-Galerie in Saarbrücken demonstriert.

Informationen zum Kurdischen Gesellschaftszentrum und seinen Aktionen unter kgz-saar.de

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