Folgen der Agenda 2010 Prellbock für Folgen der wachsenden Armut

Saarbrücken · Die Siedlungsgesellschaft meistert allerhand Probleme. Zusätzlich soll sie bald auch noch den Sozialwohnungsmangel bekämpfen.

 Renovierte Häuser mit Sozialwohnungen der Saarbrücker gemeinnützigen Siedlungsgesellschaft am Pfarrer-Bleek-Platz in Malstatt.

Renovierte Häuser mit Sozialwohnungen der Saarbrücker gemeinnützigen Siedlungsgesellschaft am Pfarrer-Bleek-Platz in Malstatt.

Foto: SGS Heike Dillhöfer

Selten war sie so wertvoll wie heute: die eierlegende Wollmilchsau der Saarbrücker Sozialpolitik, die Saarbrücker gemeinnützige Siedlungsgesellschaft (SGS), meist einfach „die Siedlung“ genannt. Sie ist eine Art sozialer Prellbock und fängt Fehlentwicklungen ab, die zwar in Berlin produziert werden, aber im Regionalverband (RV) und in Saarbrücken besonders krass zu Tage treten, meist allerdings erst einige Jahre später.

Beispiele liefern die Agenda 2010 und die allmähliche Senkung des Rentenniveaus. Beschlossen bzw. in die Wege geleitet von der rot-grünen Bundesregierung unter Gerhard Schröder. Eine der Folgen: Altersarmut. Und die ist im Regionalverband etwa doppelt so hoch wie im Bundesschnitt (3,1 Prozent). Konkrete Zahl: 2016 lebten im RV 3880 Altersrentner über 65, die Grundsicherungsgeld beantragen mussten. Bevorzugter Vermieter für solche Menschen ist die SGS.

Und eines der unbekannten Probleme, mit denen die SGS sich herumschlagen muss, sieht folgendermaßen aus: Ein armer alter Rentner stirbt. Der RV hatte ihm Miete und Nebenkosten ersetzt – jetzt stoppt der RV seine Zahlungen. Wenn dann der Nachlass des Verstorbenen nicht geregelt ist, kann die SGS die Wohnung nicht räumen und nicht wieder vermieten. Außerdem fällt im Folgejahr auch die Nebenkostennachzahlung für die SGS aus.

Dann kann es bis zu einem Jahr dauern, bevor die SGS die Wohnung entrümpeln darf. Und die Entrümpelung kann bis zu 2500 Euro kosten. Zusammen mit der ausgefallenen Nebenkostennachzahlung entstehen so bis zu 4000 Euro Verlust für die SGS. 2017 verlor das Unternehmen auf diese Weise rund 50 000 Euro – die ausgefallene Miete ist da nicht eingerechnet. Und wenn die Altersarmut weiter wächst, muss die SGS noch mehr solcher Verluste verkraften.

Der Umgang mit der Armut – das Auffangen der Armut, bevor sie als Obdachlosigkeit in der City aufschlägt – gehört von jeher zu den originären Aufgaben der SGS. Heute wohnt ein Viertel der Saarbrücker Armen (25 Prozent) bei der SGS. Als arm gilt, wer monatlich 30 Prozent weniger Kaufkraft hat als der Durchschnittsdeutsche.

Rund die Hälfte aller SGS-Mieter braucht finanzielle Unterstützung. In 2100 Fällen ersetzen das Jobcenter oder das Sozialamt den SGS-Mietern die gesamten Kosten der Unterkunft (KdU), also Miete und Nebenkosten.

Die SGS hat rund 6800 Wohnungen. 500 stehen leer, weil sie saniert werden müssen. 300 hat die Ortspolizeibehörde (OP) gemietet und dort Menschen einquartiert, die sonst auf der Straße leben müssten. Die Ortspolizeibehörde ist das Saarbrücker Amt für soziale Angelegenheiten.

Aber natürlich wohnen bei der SGS bei weitem nicht nur Menschen mit Problemen. Das wären auch zu viele. Denn insgesamt sieben Prozent der Saarbrücker Bevölkerung, etwa 13 000 Menschen, haben ihr Zuhause bei der SGS.

Und SGS-Geschäftsführerin Hildegard Wald betont: „Die weitaus größte Zahl unserer Mieter sind gute Mieter, auf die wir stolz sind, treue Mieter, die gerne bei uns wohnen und die ihre Wohnungen mögen.“

Gleichzeitig sagt Wald aber deutlich, dass es auch Ausnahmen unter den SGS-Mietern gibt und dass diese Leute dem Unternehmen extreme Schwierigkeiten machen, weil sie das Ansehen der SGS und ihrer Wohnviertel beschädigen.

Wald: „Eines unserer Probleme sind Menschen, die mit sich selbst nicht mehr klarkommen. Also lassen sie sich gehen, vernachlässigen sich selbst und ihre Umwelt. Manche sind arm – vor allem, weil sie einsam und allein sind. Manche haben die Selbstachtung verloren und verlieren anschließend die Achtung vor ihren Mitmenschen, vor ihrer Wohnung, dem Haus und dessen Umgebung. Solche Leute müssten eigentlich betreut werden. Die Gesellschaft produziert die Probleme, und sichtbar werden sie dort, wo die Menschen wohnen. Da reichen einige wenige Fälle, um ein ganzes Viertel in Verruf zu bringen.“

Die SGS hat eine lange Liste von Beispielen für antisoziales Verhalten in ihren Häusern: Die Leute sortieren ihren Müll nicht, sorgen für Chaos an den Tonnen, werfen Müll oder Sperrmüll in die Gegend oder blockieren damit sogar Gänge und Treppen, locken Ungeziefer an, legen Feuer an Mülltonnen oder im Treppenhaus, schlagen Scheiben ein, lassen Hunde ihre Notdurft in Laubengängen, Treppenhäusern und Grünanlagen verrichten. Keller werden aufgebrochen, Wände und Aufzüge beschmiert, Grünanlagen zertrampelt. Dazu kommen Lärm, Schlägereien, Pöbeleien, Rauschgifthandel. Die Täter sind aus allen bei der SGS vertretenen Einkommensgruppen.

Die Möglichkeiten der SGS, gegen antisoziale Mieter vorzugehen, sind begrenzt. Die Folgen: Die ordentlichen Mieter sind frustriert, haben Angst, erleiden materielle Schäden, ziehen um. Neue Mieter werden abgeschreckt. Die Prämien für die Gebäudeversicherung steigen, genau wie die Kosten für Müllabfuhr und Gebäudepflege (Betriebskosten). Die Mietrückstände wachsen. Derzeit schulden Mieter der SGS rund 800 000 Euro.

Je mehr Mieter sich antisozial verhalten, desto weniger kann die SGS ihrem Auftrag gerecht werden. Denn die SGS soll ja „sicher und sozial verantwortbar breite Schichten der Bevölkerung“ mit Wohnungen versorgen und dabei „ausreichende Rücklagen“ bilden. So steht’s im Beteiligungsbericht der Stadt.

Derzeit muss die SGS pro Jahr mindestens elf bis zwölf Millionen Euro erwirtschaften, denn so viel gibt sie auch für die Instandhaltung und Modernisierung ihrer Wohnungen wieder aus. Daher macht Wald klar: „Wohnraum für fünf oder 5,50 Euro pro Quadratmeter können wir nur bereitstellen, wenn das Mietverhältnis konfliktarm verläuft.“

Die voranschreitende Spaltung der Gesellschaft lässt befürchten, dass die SGS in Zukunft eher mehr problematische Mieter haben wird. Und dann müsste selbst bei der SGS das Wohnen teurer werden, weil die SGS mehr Geld braucht, um ihre Häuser zu betreiben und um ihre antisozialen Mieter in die Schranken zu verweisen – oder vielleicht sogar, um sie zu betreuen.

 Hildegard Wald, Geschäftsführerin der SGS

Hildegard Wald, Geschäftsführerin der SGS

Foto: Iris Maria Maurer

Und eine weitere Aufgabe kündigt sich bereits an. Bald muss die SGS auch wieder als Bauherr auftreten. Denn in Saarbrücken fehlen rund 4500 Sozialwohnungen verschiedener Größen (die SZ berichtete). Die Stadt hat bereits sondiert, welche ihrer Grundstücke für Sozialwohnungen in Frage kommen – und hat 15 Flächen mit insgesamt rund zwölf Hektar gefunden. Einen kleinen Teil davon soll die SGS bebauen. Für die restlichen Flächen möchte die Stadt private Bauherren suchen. Die sollen dann normalen und sozialen Wohnungsbau miteinander verbinden. Aber sowohl SGS als auch private Bauherrn können erst loslegen, wenn die Landesregierung ihre Förderrichtlinien für den sozialen Wohnungsbau so reformiert, wie es Innenminister Klaus Bouillon bereits im März angekündigt hatte (die SZ berichtete).

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