Interview „Das Durchhalten kostet ungeheuer Kraft“

Saarbrücken · Das Netzwerk freie Szene lobt die neu gestaltete Kulturförderung der Stadt, verschiebt das Freistil Festival und fordert mehr Hilfe.

 Duana Hansons Figuren, die hier 2007 zu sehen waren, dürften auch heute in der Erzhalle im Weltkulturerbe Völklinger Hütte Platz nehmen. Sie atmen ja keine Aerosole aus. Aber Zuschauer und Künstler aus Fleisch und Blut dürfen in Corona-Zeiten nicht rein. Deshalb ist auch das hier geplante Freistil Festival, die erste große „Leistungsschau“ der freien Kulturszene, verschoben. Im Juni, so hoffen die Netzwerker, wird es hoffentlich gehen.

Duana Hansons Figuren, die hier 2007 zu sehen waren, dürften auch heute in der Erzhalle im Weltkulturerbe Völklinger Hütte Platz nehmen. Sie atmen ja keine Aerosole aus. Aber Zuschauer und Künstler aus Fleisch und Blut dürfen in Corona-Zeiten nicht rein. Deshalb ist auch das hier geplante Freistil Festival, die erste große „Leistungsschau“ der freien Kulturszene, verschoben. Im Juni, so hoffen die Netzwerker, wird es hoffentlich gehen.

Foto: Hanns-Wilhelm Grobe/Weltkulture

Kurz vor Weihnachten hat der Saarbrücker Stadtrat einige für die Kulturpolitik wichtige und viel diskutierte Entscheidungen getroffen. So wird in Zukunft eine Jury darüber entscheiden, welche Produktionen der freien Szene mit städtischen Zuschüssen gefördert werden. Außerdem wird das Festival Sommermusik mit einem eigenen Etat ausgestattet. Einige Neuerungen also, die auch bei den Kulturschaffenden diskutiert werden.

Wir haben mit Vertreterinnen und Vertretern des Netzwerks Freie Szene Saar darüber gesprochen. Von ihnen wollten wir aber auch wissen, wie es den freien Theater- und Musikmenschen im fortgesetzten Lockdown geht und wie es um das Freistil Festival bestellt ist.

Die Stadt Saarbrücken hat ja nun nach längerer Diskussion beschlossen, dass künftig eine Jury entscheiden wird, wer Geld für kulturelle Projekte bekommt. Wie zufrieden sind sie mit den neuen Richtlinien – oder auch nicht?

KATHARINA BIHLER Ein Jury-Verfahren bei der Vergabe öffentlicher Fördergelder ist mittlerweile bundesweit Standard. Wir haben deshalb schon zu Beginn der Diskussionen mit der Stadt eine solche Jury unterstützt und sind deshalb natürlich sehr zufrieden damit, dass sie nun kommt.

PETER TIEFENBRUNNER Als vor einigen Jahren die Förderstrukturen beim Land neu aufgesetzt wurden, haben wir uns ja ebenfalls für ein Jurymodell ausgesprochen, das nun auch seit zwei Jahren gut funktioniert. Dort konnten wir auch Vorschläge für die Zusammensetzung der Jury einbringen.
CORINNA PREISBERG Wir freuen uns sehr, dass wir nun auch Vorschläge für die städtische Jury einbringen konnten. Natürlich sind das Personen von außerhalb, die aber dennoch einen Bezug zu Saarbrücken haben, und die notwendigen Kompetenzen und vor allem Expertise über die Freie Szene und ihre Arbeitsformen mitbringen.

TIEFENBRUNNER Wichtig finden wir es auch, dass weiterhin das demokratische Gremium, der Kulturausschuss, die Entscheidungen trifft – auf der Grundlage der Jury-Vorschläge.

 Was hätten Sie sich anders gewünscht? Mehr Geld wahrscheinlich vor allem, oder?

BIHLER Wir wünschen uns vor allem, dass wir als Netzwerk der Freien Szene in die Diskussion über die Entwicklung der städtischen Förderungen mit eingebunden sind. Der Austausch über das Prozedere und die Kriterien hat zwar begonnen, aber er ist noch ausbaufähig.

PREISBERG Dass nun auch Filmprojekte aus diesem Etat gefördert werden können, hat uns ziemlich überrascht. Es bedeutet die Öffnung für eine weitere künstlerische Sparte, und zwar eine recht kostenintensive. Unterm Strich könnte das Ganze dann sogar darauf hinauslaufen, dass weniger Mittel für Darstellende Kunst und Musik bereitstehen als in den vergangenen Jahren.

BIHLER Wir begrüßen ausdrücklich, dass weitere Sparten wie Film, insbesondere experimenteller Film und auch Bereiche der Bildenden Kunst in die Förderung aufgenommen werden. Unsere Mitglieder selbst arbeiten ja häufig spartenübergreifend. Aber der Etat muss dafür sehr deutlich erhöht werden.

TIEFENBRUNNER Obwohl nun in diesem Jahr insgesamt mehr Geld für die freie Kultur zur Verfügung steht, was uns natürlich sehr freut, ist der Topf für eine weitergehende Entwicklung der Szene immer noch deutlich zu klein. Ich erinnere an die Million, die unser Bundesvorstandsmitglied Stephan Behrmann hier in einem Interview mal aufgerufen hat...

Die freien Künstlerinnen und Künstler sind durch den neuerlichen Lockdown quasi seit Monaten im Berufsverbot. Wie ist die Stimmung unter den Netzwerk-Mitgliedern?

BIHLER Inzwischen bemerke ich auch bei den optimistischsten Kolleginnen und Kollegen Müdigkeit und manchmal Resignation und Frustration. Das Durchhalten, Tapfersein, immer wieder Neues Probieren kostet ungeheuer Kraft.

PREISBERG: Manche haben es aufgegeben, sich um Hilfen zu bemühen, da die Antragstellung langwierig ist und am Ende dazu führt, dass trotzdem extrem wenig ausgezahlt wird. Ich bin für ein bedingungsloses Grundeinkommen, nicht nur für Künstler. Damit könnte man endlich wieder längerfristig planen und wäre nicht ständig auf gestückelte Hilfen angewiesen. Das wäre nur fair, wir und viele Andere sind mit einem Berufsverbot belegt schon seit fast einem Jahr. Eine sehr gute Förderung hat der Fond Darstellende Künste aufgestellt.

Man hört, dass manche Kulturschaffenden frustriert der Kultur den Rücken kehren und sich beruflich neu orientieren. Machen Sie diese Beobachtung auch bei „Ihren“ Leuten?

BIHLER Das vielleicht noch nicht ganz, aber das Überleben ist eben schon ganz schön schwierig geworden.

TIEFENBRUNNER Und trotz aller Bundes- und Landeshilfen und der zahlreichen aufgelegten Hilfsprogramme – durch die ja auch das Netzwerk die Möglichkeit hatte, einen Technikpool für seine Mitglieder anzuschaffen, gibt es doch bei vielen das Gefühl, dass die Kultur nicht als so wichtig angesehen wird, wie manche andere Bereiche.

Das mit viel Herzblut und Engagement geplante Freistil Festival, die erste echte große „Leistungsschau“ der freien Szene im Land, fiel im November ja auch aus, sollte ins Frühjahr verschoben werden. Wie sind da die Chancen, dass wir es noch zu sehen bekommen?

PREISBERG Unser Festival wird spätestens im Juni Realität. Das erste Freistil Festival hat aber auch so schon sehr viel bewegt und verändert. Die Kommunikation unter den Mitgliedern und mit dem Vorstand hat sich verbessert. Auch politisch konnten wir für Aufmerksamkeit sorgen, und die Szene hat sich anders verbunden, seit es ein gemeinsames Ziel gibt. Auch die Kooperation mit dem Weltkulturerbe Völklinger Hütte beflügelt uns. Außerdem ist ein Festival im Sommer immer schöner, und wir hoffen sehr, dass alle geplanten Ensembles auch im Juni mit dabei sein können. Hier ist die Planung aber noch nicht ganz abgeschlossen.

Dass in der letzten Stadtratssitzung entschieden wurde, das Festival Sommermusik mit eigenem Etat von 60 000 Euro und eigener künstlerische Leitung auszustatten, dürfte für die Freie Szene ein Lichtblick sein, könnte ich mir denken. Das Festival ist ja für viele von Ihnen ein wichtiger Faktor im Jahresprogramm. Haben Sie da Rückmeldungen aus dem Netzwerk?

BIHLER Oh ja, unsere Mitglieder, die das betrifft, sind sehr zufrieden. Die Sommermusik ist ein über Jahrzehnte gewachsenes Festival, es wurde tatsächlich Zeit, dass sie endlich einen eigenen Etat erhält, der sich auch so nennen kann!

TIEFENBRUNNER Das war ja auch – bei manchen Unterschieden – eine Forderung, die in allen offenen Briefen erhoben wurde. Und auch das Netzwerk hat sich immer so positioniert. Und wir freuen uns auch, dass Thomas Altpeter nun als Kurator seine langjährige, kompetente Arbeit für dieses Festival fortsetzen kann.

 Katharina Bihler sorgt sich um Kultur-Kollegen, die sehr unter dem Lockdown leiden.

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Foto: SR/Oliver Parusel
 Corinna Preisberg ist für ein bedingungsloses Grundeinkommen, nicht nur für Künstler.

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Foto: Kerstin Krämer/KERSTIN KRAEMER
 Peter Tiefenbrunner erwartet mittelfristig mehr Geld im Etat für die Kultur.

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Foto: Iris Maria Maurer

PREISBERG Eine weitere Erhöhung beider Etats bleibt aber nach wie vor unerlässlich. Jetzt ist immerhin ein Anfang gemacht.

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