Powerfrau in bunten Kleidern Menschenfreundin in bunten Kleidern

In gewisser Weise hat alles mit Bienen zu tun. Was die Malerin Hiltrud Hartmann in Argentinien für die Guarani Indianer tut. Und wieso man sie als Model im Katalog einer schwedischen Designerin sehen kann.

 Zehn Schulen hat die Guarani-Hilfe in den weit im Urwald verstreuten Indianer-Dörfern gebaut. Diese Schule steht in Pindo Poty.

Zehn Schulen hat die Guarani-Hilfe in den weit im Urwald verstreuten Indianer-Dörfern gebaut. Diese Schule steht in Pindo Poty.

Foto: Hiltrud Hartmann/Hartmann

Wer sich länger mit Hiltrud Hartmann unterhält, hat hinterher womöglich Komplexe. Die hübsche 72-Jährige mit den grauen Locken und den lebendigen Augen ist einer von diesen Menschen, die in ihr Leben irgendwie mehr reinbekommen als viele andere.

Sie ist nicht nur Künstlerin und Lehrerin. Sie kann auch eine bessere Welt erschaffen. Seit über 30 Jahren kümmert sich die von ihr gegründete Guarani Hilfe um Argentiniens vergessene Indianer, baut Schulen, Kindergärten, Krankenstation.

Und neuerdings kann man die überzeugte Saarbrückerin („ich wollte nie woanders leben“) auch noch als Model in einem Katalog der schwedischen Designerin Gudrun Sjoeden bewundern.

All das hängt irgendwie zusammen. Und hat was mit Bienen zu tun. Aber von Anfang an: Die gebürtige Neunkircherin zog es früh in die Welt hinaus. Gemeinsam mit ihrem Mann, einem handwerklich begabten Chemiker, der ihr und der Familie zuliebe aufs Schulfach umsattelte, bewarb sie sich in den 1980er-Jahren um eine Auslandsstelle. Die Familie landete nebst Sohn in Buenos Aires.

Kaum hatten sie ihr neues Zuhause bezogen, hielt ein Steyler Pater einen Vortrag über das Schicksal der Guarani-Indianer. „Ich habe mich sofort angesprochen gefühlt.“ Und weil für Hiltrud Hartmann sich angesprochen fühlen ein bisschen mehr bedeutet als für die meisten anderen Menschen, machte sie sich sogleich auf in den Urwald. Ihre Lebensaufgabe war geboren. Und weder für die Familie Hartmann noch für die Guarani-Indianer war danach noch alles wie zuvor.

„Als ich das erste Dorf gesehen habe, wusste ich: Du kannst nicht zurück in deine Casa blanca“, sagt sie und meint damit die schicken Villen mit Pool, in denen üblicherweise die Ausländer nicht nur in Argentinien leben. Die junge Frau tuckerte fortan alle paar Wochen mit dem Camping-Bus allein die 1500 Kilometer zwischen Buenos Aires und den im Urwald verstreuten Guarani-Dörfern. Fünf Wochen blieb sie jeweils dort. Und: „Ich habe mit den Indianern gehäkelt.“ Handarbeit, das war der Anfang.

Es folgten massenhaft Spendenaktionen, die Gründung eines Vereins, später einer Stiftung. Es wurden Schulen gebaut, es wurden Lehrer ausgebildet. Es wurde eine Schreinerei gebaut, Kindergärten, eine Krankenstation, Brücken gebaut, Brunnen gebohrt. Und jede Menge dicke Bretter in der argentinischen Verwaltung. Allein die Beschaffung gültiger Papiere für die Indianer, damit die Kinder überhaupt die Chance auf weiterführende Schulbildung hatten, dauerte Jahre. „Aber ich bin Widder“, sagt Hiltrud Hartmann, „ich gebe nicht auf.“

Und sie findet Unterstützer. Und damit kommen wir wieder zur schwedischen Designerin und den Bienen. Gudrun Sjoeden entwirft nämlich nicht nur kunterbunte Stoffe und Kleider. Sie hat auch eine ähnlich philantropische Lebensphilosophie wie die Hartmanns. Und so wird nicht nur ökologisch und fair produziert, es werden auch soziale Projekte gefördert und beworben. Und Kunst fördert man auch gleich mit.

Hiltrud Hartmann entdeckte Sjoeden passenderweise beim Einkauf im Bioladen. Bis dahin hatte sie ihre Kleider meistens selbst genäht. „Ich bin eigentlich gar nicht so an Mode interessiert“, sagt sie.

Aber dann, auch das ist typisch, bestellte sie nicht etwa, wie die meisten Menschen es tun, im Katalog. Nein. Sie fuhr sogleich in den damals einzigen Laden nach Nürnberg. Mitsamt ihrem Mann. „Der macht alles mit, der findet so was gut“, sagt sie strahlend.

Es blieb nicht beim Kleiderkauf. Wenig später las sie, dass Sjoeden in ihrer deutschen Zentrale im fränkischen Zirndorf Künstlerinnen die Möglichkeit zur Ausstellung geben wollte. Sie bewarb sich sofort. Und wurde ausgewählt. „Mein Mann und ich sind im Dezember nachts bei Schnee und Eis im VW-Bus nach Zirndorf und haben dort auf dem Parkplatz übernachtet“, sagt sie und lacht.

Der Einsatz lohnte sich doppelt. Denn so wurde sie dort bekannt, erzählte natürlich von der Guarani-Hilfe. Und im Jahr darauf, 2011, wurde ihr Projekt ausgewählt als Charity des Jahres. 6000 Euro kamen damals zusammen.

Von diesem Geld – und jetzt kommen wir wieder zu den Bienen – konnte ein 18 Hektar großes Areal in Argentinien gekauft werden. „Darauf haben wir Wildblumen und Bäume gepflanzt und ein Bienenhaus gebaut“. Dort werden jetzt Imker ausgebildet, die wiederum in den Dörfern die Guarani in der Imkerei unterrichten. „Der Honig verkauft sich sehr gut.“

Und die Geschichte ging weiter. Die schwedische Designerin arbeitet nämlich auch gern mit Laien-Models, die eine interessante Geschichte haben. Im letzten Sommer, die Hartmanns waren gerade in Frankreich im Urlaub, kam eine Mail mit der Einladung nach Schweden.

Der Haken: Alle Gespräche dort würden auf Englisch laufen. „Ich kann zwar fließend Französisch und Spanisch“, sagt Hiltrud Hartmann, „aber ich konnte doch gar kein Englisch mehr“. Sie wollte gerade die Mail schreiben mit ihrer Absage, da kam ihr Mann dazu und meinte: „Dann lernst du es eben wieder.“

Der Widder in ihr nahm die Herausforderung an: Zweieinhalb Wochen hatte sie Zeit. „Ich habe mir zweisprachige Literatur gekauft und Vokabeln geübt.“ Und dann flog sie mit klopfendem Herzen nach Stockholm.

Hier traf sie auf zehn andere Frauen, Psychologinnen, Schriftstellerinnen, Sängerinnen, Bloggerinnen aus Finnland, Schweden, Norwegen, England. „Wir durften uns aussuchen, welche Kleider wir tragen wollten“ – und dann wurden Fotos gemacht und Porträts von jeder einzelnen Frau und ihrem Projekt. „Ich bin auch geschminkt worden, hm naja. Zum Glück sieht man es nicht so.“ Hartmann selbst mag es lieber ungeschminkt – in jeder Hinsicht.

Beim gemeinsamen Mittagessen in Stockholm saß sie dann sogar neben Gudrun Sjoeden selbst, die sie bewundert. „Sie ist eine begnadete Frau und entspricht absolut meiner Idee, eine bessere Welt zu ermöglichen.“ Hartmann erzählte ihr natürlich vom Bienenprojekt im argentinischen Urwald. Und erfuhr, dass Sjoeden gerade erst ein Bienenkleid entworfen hatte. Anlässlich des Tags der Bienen...

Es ist sehr wahrscheinlich, dass die Geschichte hiermit noch lange nicht zu Ende ist. Auch wenn Hiltrud und Herbert Hartmann nicht mehr die Jüngsten sind und ihre Guarani-Hilfe gerade mittels einer Kooperative für die Zukunft sichern. Wenigstens einmal im Jahr nehmen sie weiterhin den beschwerlichen 15-Stunden-Flug auf sich, um ein paar Wochen mit den Menschen zu sein, die vor Ort dafür sorgen, dass das Ganze weiterläuft. Die Schulen sind mittlerweile allesamt in staatlicher Trägerschaft und damit gesichert. Die kleine Krankenstation haben sie der Gemeinde anvertraut.

Und auch wenn sie im Laufe der Jahre manchmal enttäuschende Erfahrungen gemacht haben, mit Menschen, die sich selbst bereichern statt Gutes tun wollten: „Ich habe eigentlich nie schlappgemacht. Ich war schon mal down, weil ich an die falschen Menschen geglaubt hatte, aber ich bin immer noch da.“

Woher kommt diese unerschütterliche Menschenliebe, die sie ja mit ihrem Mann teilt? „Von meinem Vater und Großvater, denke ich“, sagt sie.

Und erzählt dann zum Abschluss die erstaunliche Geschichte: Ihr Opa war Bahnvorsteher in Neunkirchen, beherbergte zu Hause den jüdischen Kantor und hielt auch sonst nicht viel von den Nazis. Und der Opa ihres Mannes, ebenfalls ein Freigeist, war als Zugbegleiter sein Mitarbeiter.

 Mit Hilfe des Sjoeden-Geldes wurde ein Bienen-Zentrum gebaut. Hier werden Imker ausgebildet, die in den Indianerdörfern ihr Wissen weitergeben.

Mit Hilfe des Sjoeden-Geldes wurde ein Bienen-Zentrum gebaut. Hier werden Imker ausgebildet, die in den Indianerdörfern ihr Wissen weitergeben.

Foto: Hiltrud Hartmann/Hiltrud hartmann
 Hiltrud Hartmann malt am liebsten Menschen, und seit sie das erste Mal in Argentinien war, fast ausschließlich die Menschen in „ihren“ Indianerdörfern.

Hiltrud Hartmann malt am liebsten Menschen, und seit sie das erste Mal in Argentinien war, fast ausschließlich die Menschen in „ihren“ Indianerdörfern.

Foto: Hartmann
 Hiltrud Hartmann als Model.

Hiltrud Hartmann als Model.

Foto: Gudrun Sjoeden/fotograf@matswiden.com
 Hiltrud und Herbert Hartmann vor der Krankenstation in Misones. Sie wurde von der saarländischen Globus-Stiftung bezuschusst und heißt deshalb Graciela-Bruch-Haus.

Hiltrud und Herbert Hartmann vor der Krankenstation in Misones. Sie wurde von der saarländischen Globus-Stiftung bezuschusst und heißt deshalb Graciela-Bruch-Haus.

Foto: Hartmann
 Ein Blick in das Saarbrücker Atelier von Hiltrud Hartmann. Sie ist auch hier stets von den Guarani umgeben.

Ein Blick in das Saarbrücker Atelier von Hiltrud Hartmann. Sie ist auch hier stets von den Guarani umgeben.

Foto: Hartmann
 Diese Kinder sind schon die Kinder der Kinder, um die sich Hiltrud Hartmann gekümmert hat. Vor über 30 Jahren kam sie das erste Mal in den argentinischen Urwald.

Diese Kinder sind schon die Kinder der Kinder, um die sich Hiltrud Hartmann gekümmert hat. Vor über 30 Jahren kam sie das erste Mal in den argentinischen Urwald.

Foto: Hartmann

„Die beiden hörten gemeinsam heimlich englische Sender“ – in der Nazizeit wohlgemerkt und nicht ahnend, dass sie ihren Widerstandsgeist an zwei Enkel weitergeben würden, die später mal gemeinsam am anderen Ende der Erde für eine bessere Welt sorgen würden.

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