SZ-Serie Saarbrücken einst & heute – Teil 7 Kutschen, Automassen und viele Flaneure
Saarbrücken · Die Bahnhofstraße rauf und runter: Die am stärksten genutzte Einkaufsmeile der Region hat in ihrer Geschichte schon einiges erlebt.
Eine große, eine sehr große Sache war es für die beiden Städte St. Johann und Saarbrücken, als 1852 der Bahnhof eröffnet wurde. Wie selbstverständlich wurden in beiden Städten in den Folgejahren die zum Bahnhof führenden Straßen „Bahnhofstraße“ genannt. Allerdings wurde am 1. April 1909 aus den drei Städten Saarbrücken, St. Johann und Malstatt/Burbach eine einzige Stadt – und die kann keine zwei Bahnhofstraßen haben. Dass die Eisenbahnstraße in Alt-Saarbrücken auch mal Bahnhofstraße hieß, weiß heute kaum noch jemand. Die Bahnhofstraße auf St. Johanner Seite dürfte dagegen fast jeder Saarländer kennen – als die Einkaufsstraße der Landeshauptstadt schlechthin.
Die etwa 600 Meter lange Straße, erstreckt sich vom St. Johanner Markt bis zur Europa-Galerie (zum Teil die ehemalige Bergwerksdirektion Saarbrücken) vor dem Bahnhof. Der war in den alten Tagen von solcher Bedeutung, dass die neue Straße, deren Ausbau mit der Errichtung des Bahnhofs begann, zwölf Jahre nach dem Bahnhofsbau nahezu vollständig bebaut war und im Jahr 1884 ihren Namen erhielt.
Dem Saarbrücker Stadtarchiv war die „Rue“, wie die Straße von manchen Saarbrückern genannt wird, im Jahr 2014, zum 150-jährigen Bestehen, eine Ausstellung zu ihrer wechselvollen Geschichte wert, begleitet von der Schrift „Schaufenster des Lebens – 150 Jahre Bahnhofstraße Saarbrücken“. Denn diese Straße könne tatsächlich – so würdigt es die Saarbrücker Stadtverwaltung – „seit ihrer Entstehung als Schaufenster des städtischen Lebens betrachtet werden: In ihr spiegelt sich die ‚große’ ebenso wie die ‚kleine’ Geschichte unseres Landes.“ Und weiter heißt es auf der Internetseite der Stadt, dass sich in der Bahnhofstraße auch die Zeitgeschichte gespiegelt habe: „Das Zeitalter der Industrialisierung, charakterisiert durch die Entstehung der ersten Warenhäuser, das großstädtische Leben der Jahrhundertwende und der 1920er Jahre, in denen man das mondäne Leben genoss, zum Tanz oder Konzert in die legendären Cafés Kiefer, Windsor, Wittelsbach, Astoria, Metropole oder Atlantic ging, um nur einige zu nennen.“
Um 1880 wurde die Bergwerksdirektion Saarbrücken am „Bahnhofs-Ende“ der Straße eröffnet, und ab 1890 fuhr hier auch die Straßenbahn. Nach dem Ersten Weltkrieg, den die Straße unbeschadet überstanden hatte, stand das Saargebiet unter dem Mandat des Völkerbundes, bis sich die Bevölkerung bei der Abstimmung im Januar 1935 für den Anschluss an das nationalsozialistische Deutschland entschied – was der Bahnhofstraße die zweifelhafte Ehre einbrachte, in den wenigen Jahren des „1000-jährigen Reichs“ Adolf-Hitler-Straße zu heißen. Viel schlimmer noch: Die jüdischen Kaufhäuser verschwanden – oder genauer: deren Besitzer.
Im Krieg verwüsteten Luftangriffe die Straße. Der Wiederaufbau erfolgte in den 1950er und 1960er Jahren, wobei auch die meisten der noch übrig gebliebenen Vorkriegshäuser verschwanden. Über die Architektur der „neuen“ Häuser lässt sich trefflich streiten, aber wie formulierte es einmal ein Flaneur in der Bahnhofstraße während eines anhaltenden Nieselregens: „Dank der Arkaden bleibt man hier wenigstens trocken.“
Als Nachfolger der Straßenbahn fuhr von 1953 bis 1964 ein Oberleitungsbus auch durch die Bahnhofstraße, die danach immer stärker von Autos frequentiert wurde und zweifellos eine Hauptverkehrsstraße in Saarbrücken war. So gab es denn auch nicht gerade wenige Skeptiker, als die Bahnhofstraße in den 1990er Jahren zur Fußgängerzone entwickelt wurde, was den Geschäften viel abverlangte.
Im August 1993 wurde die Fußgängerzone eröffnet – zunächst eigentlich nur eine halbe Fußgängerzone, denn sie wurde von einem weißen Strich geteilt, und auf einer Seite fuhren noch immer auf zwei Spuren die Linienbusse, was zu manch heftiger Debatte führte.
Aber vielleicht ist diese Fußgängerzone auch ein Zeichen dafür, dass es manchmal eben doch gut sein kann, wenn Politiker und Planer mit Weitblick ihre Überzeugung gegen den vermuteten „Volkswillen“ und das menschliche Beharrungsvermögen durchsetzen: Mitte 2016 berichtete die Saarbrücker Zeitung unter der Überschrift „Magnet Bahnhofstraße“, dass die Straße die bestbesuchte Einkaufsmeile aller mittelgroßen Städte Deutschlands sei – also von Städten mit 100 000 bis 250 000 Einwohnern. Eine dreistündige Zählung, in allen untersuchten Städten gleichzeitig vorgenommen, hatte in der Bahnhofstraße im Schnitt 6580 Fußgängern pro Stunde ergeben. Das sei auch ein Spitzenplatz unter allen deutschen Einkaufsmeilen. Als Grund des guten Abschneidens wurde vermutet, dass Saarbrücken als Einkaufsstadt in der Großregion praktisch ohne Konkurrenz sei. Die „Passantenfrequenzzählung“ hatte das Frankfurter Immobilienberatungsunternehmens Jones Lang LaSalle (JLL) veranlasst. Im Gesammtklassement lagen Straßen in Köln, München und Frankfurt auf den Medaillenrängen, Saarbrücken auf Platz 23. Ob das auch ohne Fußgängerzone so gekommen wäre?