Merkwürdige Rituale aus dem Norden Merkwürdige Rituale aus dem Norden

So mancher, der König werden wollte, musste dafür finstere Intrigen spinnen. Andere, die nach der Krone lechzten, zettelten Kriege an. Wieder andere gingen lediglich innerhalb der eigenen Familie über Leichen. Thomas Schulz musste einfach nur viel essen.

Merkwürdige Rituale aus dem Norden: Merkwürdige Rituale aus dem Norden
Foto: SZ/Robby Lorenz

Thomas Schulz ist nicht als Anhänger der Monarchie bekannt. Ganz im Gegenteil. Er ist ein leidenschaftlicher Streiter für eine lebendige Demokratie und Pressesprecher des Gewerkschaftsbunds im Saarland. Dennoch: Thomas Schulz ist ein König. Und dieses Amt verpflichtet ihn zu für Saarbrücker womöglich merkwürdigen Ritualen. Das Ganze begann mit seiner Geburt.

„Also, das ist so: Ich bin ja in Bremen geboren und in der Nähe von Bremerhaven in einem niedersächsischen Dorf, Beverstedt im Landkreis Cuxhaven, aufgewachsen“, erklärt Schulz. Zum Aufwachsen gehören dort auch Grünkohl-Touren. Im Winter, sagt Schulz, gehören diese Ausflüge „zu den beliebtesten Freizeitbeschäftigungen“. Wer in vielen Vereinen aktiv ist, komme auf zwei bis zehn Grünkohl-Touren im Jahr. Was er dann erzählt, mag zunächst nach einer typisch saarländischen Vatertagstour klingen: Ausgerüstet mit einem Bollerwagen und Schnaps und Bier, manchmal auch alkoholfreier Flüssigkeit „latscht eine Gruppe durch die Botanik und erarbeitet sich Appetit“.

Im Norden geht das so, erzählt Schulz: „An jeder Wegkreuzung oder wenn Menschen entgegen kommen, wird etwas getrunken, ein Lütter, das heißt: ein kleiner Schnaps.“ Dann kehrt man in einer Gaststätte ein, die auf Grünkohl mit Pinkel spezialisiert ist. Oft müsse man dort Monate im Voraus reservieren. Anders als bei Vatertagstouren gibt es bei diesen Ausflügen einen „Gewinner“. Den nennt man im Norden Kohlkönig oder Grünkohl-König. Und diese Königswürde erringt der, der am meisten gegessen hat. Der König hat die Aufgabe, die Tour im kommenden Jahr zu organisieren.

Seit fast 30 Jahren ist das bei Familie Schulz so. Und weil er, der amtierende Kohlkönig, in Saarbrücken lebt, wird es am kommenden Wochenende „die wohl einzige Grünkohl-Tour im Saarland“ geben. 15 Teilnehmer haben sich angesagt. „Die Jüngste ist meine Enkelin Linda Marie, 14 Monate, geboren in Saarbrücken, der Älteste ist mein Onkel Rudi aus Kleve, 83. Es kommen Verwandte aus Köln, Tante Vera und mein Cousin Sven, der übrigens beruflich mit dem Bau der Luxemburger Tram zu tun hat, meine Mutter und noch Verwandte aus Rees“, erzählt Schulz. Seine mexikanische Freundin ist dabei und sein Sohn und noch ein paar Verwandte. Sie alle werden der Saar entlang laufen und über den St. Johanner Markt. Platz zum Rumlaufen und zum Lüttertrinken ist genug.

Aber wo bekommt man in Saarbrücken Grünkohl? Die Frage war schnell geklärt. Dort wo Thomas Schulz mit anderen samstags Fußball schaut, lautet die Antwort: im Restaurant Ivica an der Ecke Altneugässchen/Franz-Josef-Röder-Straße. Ivica ist Kroate. Und in seiner Heimat ist Grünkohl auch die ganz große Nummer. „Hätte ich ja nicht für möglich gehalten!“, sagt Schulz. Aber ein Problem ga es doch noch. Zum Grünkohl braucht man auch noch einige traditionelle Würste. Die Lösung des Problems: Ein Internethandel verschickt das Zeug.

 Thomas Schulz mit Grünkohl

Thomas Schulz mit Grünkohl

Foto: Schulz
 Thomas Schulz ist Grünkohl-König und ein Fan des Fußballclubs Werder Bremen.

Thomas Schulz ist Grünkohl-König und ein Fan des Fußballclubs Werder Bremen.

Foto: Schulz

„Als Ivica gesehen hat, dass da Oldenburger Fleischpinkel, Bremer Pinkel und noch Kochmettwürste reinkommen, hat er gefragt: ,Welche kommt denn da nun rein?’“, erzählt Schulz. Die Antwort: „Alle!!!“ Dazu noch Kasseler und Bauchspeck. Im nächsten Jahr, sagt Schulz, organisiert er das Ganze mit Ivica dann vielleicht für jeden Saarbrücker, der dabei sein will. Dann gibt es wohl auch Gummistiefel-Weitwurf und Teebeutel-Weitschleudern. Und einen neuen König.

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