Mein Brieffreund, der Baum

So kann's gehen · Völklinger Bäume könnten viel erzählen. Im Prinzip – aber sie können nicht. SZ-Redakteurin Doris Döpke hat die Alternative im fernen Australien entdeckt.

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Foto: Robby Lorenz

Die Völklinger lieben Bäume , die ungezählten Bäume im Stadtwald ebenso wie die rund 6000 Straßenbäume. Die Menschen in der Hüttenstadt können ihrer Zuneigung aber nur dann Ausdruck geben, wenn das Leben eines Baums endet: Wann immer irgendwo die Motorsäge läuft, erwacht Protest. Die Leute im australischen Melbourne haben es besser, sie können ihre Baum-Liebe jederzeit formulieren. Ganz persönlich - denn alle rund 77 000 Bäume in der Millionenstadt haben eine individuelle E-Mail-Adresse.
Ein Witz? Mitnichten. Mit dem Mail-Projekt will der Rat die Stadt grün halten. Bürger, so der Gedanke, sehen oft sehr früh, wo Sturm, Dürre, Baustellen, Abgase einen Baum gefährden oder zur Gefahr machen. Wenn Bürger auf einer interaktiven Stadtkarte "ihren" Baum anklicken und schnell Alarm ins Rathaus mailen - "hallo, Baum Nummer Sowieso hat schon im Juli kaum noch Laub, und ein dicker Ast sieht brüchig aus" -, können die Stadtgärtner ausrücken und Schaden für Baum und Mensch abwenden.

Aber so nüchtern sind die Leute in Melbourne nicht: Sie schreiben ihren Bäumen Liebesbriefe . Und manchmal grüßen Bäume aus der Ferne ihre aus-tralischen Kollegen. Etwa eine Weißeiche aus den USA, nach eigenen Angaben 27 Meter hoch, mit 5,3 Meter Stammumfang. Er reise nicht viel (wer hätte das gedacht?), stehe bloß rum und biete Vögeln und Eichhörnchen Sitzgelegenheiten, mailte der - offenbar gelangweilte - 350-jährige Gigant.

Manchmal fragen Menschen die Bäume auch um Rat. Ob er fürchte, dass die griechische Schuldenkrise sich auf ihn auswirke, wollte jemand von einem Riesen-Lebensbaum wissen. Überraschung: Der Baum schrieb Kluges, zugleich Baumig-Bescheidenes zurück.

Was Völklinger Bäume wohl mitzuteilen hätten? Die Kastanien vorm Stadtbad, die betagten Eichen im Bürgerpark haben in ihrem langen Leben reiche Erfahrung gesammelt und viel gesehen. Nicht zu vergessen die Platanen in der Stadionstraße (in unmittelbarer Nähe der Stadtwerke!). Wir sind neugierig. Fehlt nur noch die Mail-Adresse, mit der wir die Bäume fragen könnten.

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