Die Sache mit dem Mindeshaltbarkeitsdatum Geschmack der Kindheit

Manchmal muss das Mindeshaltbarkeitsdatum überschritten werden, damit sich ein Lebensmittel zur Kenntlichkeit hin verändert.

Manchmal muss das Mindeshaltbarkeitsdatum überschritten werden, damit sich ein Lebensmittel zur Kenntlichkeit hin verändert.
Foto: SZ/Robby Lorenz

Schönheit liegt bekanntlich im Auge des Betrachters. Und Wohlgeschmack auf der Zunge des Essers. Wobei kulinarische Vorlieben sich im Lauf der Zeit verändern. Was man als Kind verabscheut hat, lernt man als Erwachsener schätzen; was man als Kind für höchsten Genuss hielt, entlockt einem später nur mehr müdes Lächeln. Und manchmal weckt die Begegnung mit einer Speise von früher sogar höchste Kreativität – man denke nur an das in Tee getauchte Madeleine-Gebäck, das den Romancier Marcel Proust auf die Suche nach der verlorenen Zeit schickte.

Doch halt, auf dem Teppich bleiben – meine Entdeckung im Supermarkt-Kühlregal war von ganz banaler Art. Aber erinnerungsträchtig: Harzer Roller, regelmäßiger Abendbrot-Bestandteil meiner norddeutschen Kindheit. Erfreut legte ich die ewig nicht gesehene Packung mit dem Sauermilchkäse in den Einkaufswagen. Enttäuscht schob ich sie abends nach einem ersten Happen zurück in den Kühlschrank: Was ich als kräftig-würzig in Erinnerung hatte, schmeckte nach fast nichts. Veränderte Rezeptur? Ein Fall nur für regionale Hersteller? Erinnerungsverklärung? Keine Ahnung. Der Harzkäse blieb liegen.

Ziemlich lange. Als ich ihn wieder auskramte, war das aufgedruckte Mindesthaltbarkeitsdatum längst überschritten. Und der Käse hatte sich verändert – zur Kenntlichkeit. Ja, genau so hatte ich ihn im Gedächtnis.

Ein Proustscher Madeleine-Effekt? Elektrisierende Reise ins Gestern? Ach wo. Einfach nur intensives Aroma. Im Klartext: ein Stinker. Nett, diesen Geschmack der Kindheit mal wieder zu treffen. Aber ich muss die Begegnung nicht wiederholen.

Meistgelesen
Neueste Artikel
Zum Thema
Aus dem Ressort