Plötzlich im Blickpunkt Corona-Tango an der Drehtür

Endlich wird er mal gewürdigt – der Türgriff. Sonst mit Nichtbeachtung gestraft, ist er jetzt ein Objekt erhöhter Aufmerksamkeit – in dem Bestreben, ihn nur ja nicht mit bloßen Fingern zu berühren.

 Marco Reuther

Marco Reuther

Foto: SZ/Robby Lorenz

Wer hätte das gedacht, dass offenbar in jedem von uns ein verborgener Tänzer oder gar Artist schlummert – das beweist unser derzeitiger Umgang mit Türen und Türgriffen. Die Verrenkungen, die da teilweise an den Tag gelegt werden, um den Türgriff nicht berühren zu müssen, die würden so manchem indischen Yoga-Meister zu Ehren gereichen. Der Klassiker ist natürlich „Die verschwundene Hand“: Die Hand wird in den Jackenärmel eingezogen, die linke Schulter hochgezogen, die rechte Schulter nach vorne und unten gekippt, um mit den ärmelummantelten Fingern den Türgriff umfassen zu können. Dem wahren Könner gelingt das nach ein wenig Übung sogar ohne schräggeneigtem Kopf und ohne verkniffenem Gesichtsausdruck, das gibt extra Haltungspunkte.

Unsere Bürotür hat sogar einen zusätzlichen Schwierigkeitsgrad: von außen gibt es keinen Griff, sondern eine senkrechte Stange, so nahe am Türblatt montiert, dass man da eine umärmelte Hand nicht ohne die Gefahr eines zurückrutschenden Ärmels zum Einsatz bringen kann. Also heißt es kreativ sein: Gazellen-gleich tänzele ich aus dem Büro (na gut, wie eine etwas ältere, fußlahme Gazelle mit Littbarski-Beinen), stehe auf dem linken Bein, hake den rechten Fuß hinter das Türblatt, versetze ihm mit einem leichten Zug den richtigen Schwung und ziehe den Fuß (meist) rechtzeitig zwischen der sich schließenden Tür und dem Türrahmen heraus. Doch auch das ist gar nichts im Vergleich zu jenen beiden Meistern, die vor der Globus-Drehtür einen wunderbaren Corona-Tango zeigten, ein sinnliches Spiel von Anziehung und Abstoßung: Ohne einander zu bemerken näherten sie sich der gerade offenen Drehtür – in die ja derzeit immer nur eine Person eintreten soll –, entdeckten dann den jeweils anderen, machten gleichzeitig einen kleinen Satz zurück, zuckten, sich anstarrend, in perfekter Synchronität wieder vor, dann ging nur noch jeder Kopf einmal nach hinten, einmal nach vorne, bevor die Tänzer, sich in kafkaesker Erstarrung belauernd, innehielten. – Chapeau! Diese wahre Meisterschaft hätte einen Platz im Fernsehballett verdient.

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