In 60 Jahren ist alles ganz normal

Stichprobe. Eine willkürlich gewählte Ausgabe der SZ in dieser Woche: Einen Bericht über die Kinderkappensitzung der Fastnachtsvereine ziert das Foto von zwei überaus niedlichen kleinen Mädchen in bunten Kostümen.

Die Namen der Mädchen: Aliyha und Giulia. Das Kinderprinzenpaar des Jahres 2016, erfährt man im selben Artikel, hört auf die wohlklingenden Namen Prinz Serkan I. und Prinzessin Cassady. Ein paar Seiten weiter in den Todesanzeigen findet man zwischen Hans und Hiltrud einen Carmelo, der mit fast 80 Jahre gestorben ist.

Worauf ich hinauswill, ist klar, oder? Carmelo, der wahrscheinlich vor vielen Jahren als so genannter Gastarbeiter ins Saarland kam und blieb, hat hier heute eine ganze Reihe von Verwandten, die um ihn trauern, darunter offenbar manches zumindest halb-saarländische Enkel- und Schwiegerkind. In der Anzeige finden sich neben Salvatore und Fabrizio auch Namen wie Petra und Elisa. Also eine wie es scheint gut im Saarland integrierte Familie - deren Anfänge hier noch gar nicht so lange zurückliegen.

Als Carmelo und viele andere seiner Landsleute seinerzeit kamen, war es sicher erst mal nicht leicht für sie in der Fremde. Fremde Sprache, fremde Gepflogenheiten, ganz anderes Essen. Und ganz bestimmt wurden sie auch vom einen oder anderen Saarländer misstrauisch beäugt. Jetzt, viele Jahre später, war dieser Mensch in unserm Ländchen so zuhause, dass sein Tod in der Heimatzeitung bekannt gegeben wurde. Ich bin sicher, wenn ich noch 50, 60 Jahre leben würde, ich würde in den Todesanzeigen auch immer öfter einen Mohammed oder Khalil finden, betrauert von Enkelkindern, die dann vielleicht Misrine Becker oder Samira Backes heißen. Und die wüssten hoffentlich gar nicht mehr, was es 60 Jahre zuvor in Deutschland für eine Aufregung gegeben hatte, als ihr Opa damals als Flüchtling hierher kam.

Schauen Sie ruhig manchmal aufmerksam in die Zeitung. Sie werden sehen, dass wir längst ein Einwanderungsland sind. Und ich finde, dass uns der Zuzug "fremder" Menschen sogar gut getan hat. Denn was wäre die saarländische Faasenacht heute ohne Aliyha und Giulia, Serkan und Cassady? Viel blasser, weniger bunt und vielleicht sogar ganz ohne Kinderprinzenpaar. Und was wäre Deutschland ohne die Carmelos, Francescas oder Asgars dieser Welt? Für mich jedenfalls sicher weniger interessant. Und, ganz wichtig: Es gäbe womöglich immer noch überall nur Schnitzel und Klöße, wo ich doch Pizza und Pasta, Couscous, Tajine und Falafel so liebe ...

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