Erinnerung an kleine Sünden

So kann's gehen · Zur Pilz-Jahreszeit schaute bei Alexander Manderscheid früher auch immer ein guter Freund der Familie mit Rauschebart vorbei.

Ich war acht, neun und zehn Jahre alt, als uns regelmäßig ein Pater aus einem Münchener Kloster besuchte. Er war ein guter Freund meiner Oma und schlenderte mit seinem Rauschebart, in Sandalen so groß wie Schiffe und in seiner braunen Kutte auf der Suche nach Pilzen durch den Wald. "Ein Anblick für die Götter", sagte meine Mutter, natürlich nicht zu laut, denn der Pater mochte ja nur den einen. Er hatte es trotzdem gehört, eine Zigarre angezündet und laut gelacht.

Im Gegensatz zu den Göttern mochte unser Pater von den Menschen natürlich viele mehr. Und so brachte er immer Geschenke mit: Für den Pfarrer hatte er etwas Freizeit im Gepäck, weil er in seiner Zeit einfach so die Kirche übernahm. Mir schenkte er die bunten Papierringe seiner Zigarren, die ich dann in ein Buch klebte. Es hatte nur so schrecklich viele leere Seiten. Und der gute Herr wollte bis nach dem Essen warten, um wieder eine zu rauchen. Das dauerte mir zu lange. Denn dummerweise schmeckten ihm die Semmelknödel meiner Oma so gut, dass er immer nach Nachschlag verlangte. Als aus irgendeinem Grund einmal sogar die erste Portion auf sich warten ließ, hielt ich es nicht mehr aus. Ich riss mein Buch in die Luft, ihn aus seiner Vorfreude auf die Knödel - und, platsch, war's passiert: Meine Gabel war in die Soße gefallen. Es gibt nichts Schlimmeres, als beim Essen den Griff einer Gabel zu halten, der zuvor in der Soße gelegen hatte. "Kleine Sünden bestraft der liebe Gott sofort", sagte meine Oma. Nicht zu laut. Aber der Pater hatte es trotzdem gehört.

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