Dystopie im Blabla-Car

So kann's gehen · SZ-Mitarbeiter Alexander Manderscheid erlebt literarische Weltuntergänge.

Über Blablacar, das ist die wohl berühmteste Mitfahrzentrale im Internet, hatte der Student es auf die Rückbank meines Autos geschafft, und dann musste er sich meinen Small-Talk-Versuch über Bücher anhören. Und das bis nach Ulm. Im Rückspiegel waren seine stoische Augenpartie zusehen. "Ich lese lieber Dystopie!", sagte er fest. Ach ja, das war das Wort, das ich mir nie merken kann. Das wollte ich eigentlich auch schon sagen.
"Dis…?". Dystopie, Welten nach dem Ende der Welt oder so was Ähnliches, außer Kontrolle geratene Szenarien die immer so wunderbar gefährlich wirken, weil oft Zombies um die Ecke humpeln und stöhnend an den Türen kratzen. Normalerweise bekommt man Gänsehaut, wenn die Menschen in düstere Häuser einsteigen. Bei Dystopien will man nicht, dass sie wieder ins Freie gehen. Denn dort lauert das Böse: Bei Emily St. John Mandel ("Das Licht der letzten Tage") ist es ein mutierter Grippevirus, bei Cormac McCarthy ("Die Straße") sind es mutierte Hinterwäldler, Kannibalen . Und in "Omega Man", ausnahmsweise ein Film, ist es statt der eigenartigen Mutanten in Leinenumhängen vielleicht doch eher der Verkehr, der hinten am Bildrand weiterrollt, während Charlton Heston im Vordergrund den letzten Mann auf Erden gibt.

Das war auch schon mal Harry Belafonte im leergefegten Schwarz-Weiß-New-York. Amerika steht der Weltuntergang halt am besten. Jedenfalls besser als Deutschland: "Die Wuppertaler Schwebebahn steht still, im Kölner Dom ist die letzte Messe längst gelesen", heißt es in der Beschreibung für einen deutschen Dystopia-Roman (Michael Schreckenberg, "Der Finder"). Selbst auf dem Weg nach Ulm lässt sich dabei nur schwerlich gruseln.

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