Flüssig & gut Dunkel, klebrig, magisch

Flüssig&gut · Während meine Mitschülerinnen und Mitschüler früher darüber diskutierten, ob Nusspli oder Nutoka oder irgend eine andere Schokohaselnusscreme wirklich eine Alternative zu Nutella sind, hatte ich diese Alternative längst auf dem Brot: Fenner Harz.

 Martin Rolshausen

Martin Rolshausen

Foto: SZ/Robby Lorenz

Das Zeug im Glas bewegte sich träge wie Erdöl und sah auch so aus. Aber es roch gut. Und es hatte magische Kräfte. Denn nach dem ersten Schluck, von einem Augenblick auf den nächsten, war ich knapp 50 Kilometer und gut 35 Jahre weit weg. Ich saß wieder an diesem schlichten Tisch in der Dreisbacher Jugendherberge und wusch ein Brot mit einem feuchten Lappen ab.

Mit den Messdienern waren wir auf dem Fahrrad nach Dreisbach aufgebrochen. Mit unseren schlichten Rädern (die Dreigangschaltung schien eher symbolischer Schnickschnack zu sein) war das eine echte Herausforderung. Und weil klar war, dass wir niemals pünktlich zur Abendessenszeit in der Jugendherberge ankommen würden, hatte unser Gruppenleiter unser Nachtmahl in seinem Rucksack dabei: einige große Mischbrote, ein paar Ringel Lyoner und einen Becher Fenner Harz. Irgendwo auf der Strecke muss dann der Harzbecher aufgegangen sein. Und so mussten wir Lyoner und Brot erstmal von der dunklen, klebrigen Schicht befreien, bevor wir speisen konnten.

Meine Liebe zum Fenner Harz hat dieses Erlebnis nie trüben können. Der Zuckerrübensirup war für mich als Halbwüchsigen die einzige echte Alternative zu Nutella. Und nicht nur für mich. Die Völklinger Mythenjäger, eine ganz besondere Heimatkundlergruppe, hat vor zwei Jahren festgestellt, dass Fenner Harz "zur saarländisch-kulinarischen Identität gehört wie der Dibbelabbes und Omas Geheiradede".

Das süße Zeug, speziell in Nachkriegs-Hungerjahren als preisgünstiger Brotaufstrich geschätzt, stammte vom Fenner Hof, also aus einem heutigen Völklinger Stadtteil, haben sie uns Unwissenden damals erklärt. Und dass man 1883 dort erstmals Rübensirup hergestellt hat. 1905 übernahm die preußische Grubenverwaltung die Anlagen, die Fabrik zog um an die Saarbrücker Straße. Später bauten die Brüder Waldemar und Erich Kolb dort die "Lolly-Werke Erich Kolb KG" auf - Fenner Harz-Produktion inklusive. 500 Menschen arbeiteten dort. 1970 übernahm die Storck-Gruppe das Werk, 1973 machte sie es dicht. Die Bauten gibt es nicht mehr. Fenner Harz schon: Rund 300 000 Becher werden jedes Jahr im Saarland verkauft.

Und dieses Zeug trinke ich, anstatt es aufs Brot zu schmieren? Nein, so schlimm ist es nun wirklich nicht mit mir. Das Zeug im Glas, das mich in die Vergangenheit schleuderte, war ein zwölf Jahre alter "Don Zoilo"-Sherry von Williams & Humbert. Es ist fast unheimlich, so sehr erinnert das Zeug aus Spanien an Fenner Harz.

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