Kolumne So kann’s gehen Der Ton wird rauer

Corona ist eine Zerreißprobe für unser aller Nerven. Aber muss man deswegen gleich sämtliche Umgangsformen vergessen?

 Kommentarkopf Aline Pabst

Kommentarkopf Aline Pabst

Foto: SZ/Robby Lorenz

Gemacht hatten wir eigentlich nichts. Eine der Freundinnen, mit denen ich shoppen war, hatte lediglich gewagt, in der Kassenschlange ihren Blick gelangweilt schweifen zu lassen. Eine unfassbare Provokation für ein angriffslustiges Mädel in ihrem Sichtfeld. Ein Wort ergab das andere und schließlich endete unser unschuldiger Ausflug ins Neunkircher Saarpark-Center mit der Flucht vor einer gewaltbereiten Mädchen-Gang.

Zwanzig Jahre ist das her, aber dieses Erlebnis hat sich in mein Gedächtnis gebrannt. Seitdem weiß ich: Auf Sätze wie „Was glotzt du so?!“ mit der Gegenfrage „Bist du doof?“ zu antworten, ist eine eher ungeschickte Strategie. Deeskalation war mit 16 nicht meine Stärke. Dennoch war dies das erste und einzige Mal, dass ich fast in eine Schlägerei verwickelt wurde.

Jedenfalls bis vor Kurzem. Ich habe ja Verständnis dafür, dass momentan viele ein wenig gereizt sind. Kontaktbeschränkung, Kneipen und Restaurants zu, Arbeit, aber keine Freizeitangebote – Corona halt. Das ist aber kein Grund, als erwachsener Mann, noch dazu im gesetzten Alter, eine Verkäuferin anzubrüllen. Abstand solle er halten, was für eine Frechheit! - nebst weiteren Belanglosigkeiten, die ihn auf 180 brachten.

Als der Schreihals sich schließlich sogar hinter die Kasse drängen wollte, konnte ich das nicht länger tatenlos mitansehen. „Reißen Sie sich zusammen!“ – was intelligenteres fiel mir leider nicht ein. Reaktion: Der Mann wirbelte zu mir herum, seine Hände schossen nach oben und hatten mich schon fast am Kragen gepackt, als ihm im letzten Moment dämmerte, was er da gerade tat. Seine Hände fielen herab, kurz blitzte sowas wie Scham in seinem Blick auf. Bis sich ein weiterer Kunde berufen fühlte, zur Hilfe zu eilen und der Herr erneut aufdrehte.

Ich trennte die Kontrahenten schließlich, indem ich einen Einkaufswagen zwischen sie schob. Das immerhin war eine gute Idee. Trotzdem – normal ist das nicht. Nach einem Dreivierteljahr Ausnahmezustand ist der Ton beängstigend rau geworden. Dabei war beim ersten Lockdown so viel Hilfsbereitschaft zu spüren. Könnten wir bitte wieder dahin zurück?

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