Der Ruf nach Langeweile

Völklingen · SZ-Redakteurin Angelika Fertsch ist von der Idee des Dauerfaulenzens fasziniert.

Wieviel Langeweile verkraftet der Mensch oder besser gefragt, wieviel Langeweile braucht der Mensch? Eine Meldung vor wenigen Tagen ließ mich aufhorchen. Der Schauspieler Klaus Maria Brandauer gab zu, dass er sich gerne zu Hause entspanne - bevorzugt bei Sportsendungen im Fernsehen. Und forderte sogar ein Menschenrecht auf Langeweile. So ein Geständnis in einer Gesellschaft, die Tüchtigkeit und emsige Dauerarbeit als höchste Tugend ansieht - das braucht Mut oder Unabhängigkeit oder beides.


Und ich horche in mich hinein. Zwischendurch auf dem Sofa mit Lektüre? Wunderbar, doch spätestens nach einer halben Stunde kratzt das schlechte Gewissen. Ich springe wieder auf und hetze durchs Haus, staubsaugen, Waschmaschine in Gang setzen, einkaufen fürs Mittagessen, Fische füttern. Der Tag ist kurz. Die Kinder kommen nach Hause, Vokabeln abhören. Am Abend sitze ich wieder auf dem Sofa - außer Puste, aber zufrieden, habe ja schließlich was geleistet. Das Lebensmotto "Schaffe, schaffe" habe ich schon an den Nachwuchs abgegeben. Sie kennen meine täglichen Sprüche. Was wären sie erstaunt, wenn sie ab Morgen das Gegenteil hörten. "Mach mal langsam. Hausaufgaben? Ach wo, schieb ruhig mal auf. Den Tisch brauchst Du auch nicht mehr zu decken. " Verkehrte Welt, würden die denken. Und fragen, ob ich Fieber habe. Faulheit ist wie Kommunismus. In der Theorie eine faszinierende Angelegenheit. Im Alltag kaum zufriedenstellend praktikabel. Oder wir fingen gemeinsam an, Leistung nicht mehr nach Arbeit, sondern nach Schlendrian zu belohnen. Motto: "Ich gehe heute acht Stunden faulenzen."

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