Die SZ im Gespräch mit Stefan Rahmstorf Top-Klimaforscher warnt – das sind die Gefahren eines Planeten, der sich immer weiter aufheizt

Interview | Saarbrücken · Stefan Rahmstorf ist seit Jahrzehnten einer der renommiertesten Klimaforscher Deutschlands. Mit der SZ spricht über die Gefahren eines Planeten, der sich immer weiter aufheizt – und über das Versagen der Politik.

 In Landiras (Frankreich) brannte vor wenigen Tagen ein Wald. Solche Katastrophen werden durch die globale Erwärmung immer häufiger auftreten – wenn die Weltgemeinschaft nicht entschieden gegensteuert.

In Landiras (Frankreich) brannte vor wenigen Tagen ein Wald. Solche Katastrophen werden durch die globale Erwärmung immer häufiger auftreten – wenn die Weltgemeinschaft nicht entschieden gegensteuert.

Foto: dpa/Thibaud Moritz

Was bedeutet ein ungebremster Klimawandel für unser Leben – und mit welchen Methoden lässt er sich noch stoppen? Zu diesen Fragen hat die Saarbrücker Stiftung „Forum für Verantwortung“ unlängst ein neues Buch veröffentlicht (siehe unten). Mit Stefan Rahmstorf hat einer der bekanntesten Klimaforscher Deutschlands einen Text beigesteuert. Die SZ hat mit ihm gesprochen.

Professor Rahmstorf, Sie haben bereits viele Artikel und Bücher zum Klima veröffentlicht. Was ist das Besondere an „3 Grad mehr“?

STEFAN RAHMSTORF 18 Wissenschaftler zeigen in dem Buch, wie die Welt bei 3 Grad Erwärmung aussehen würde. Noch wichtiger ist aber der zweite Teil: Wie können wir diese 3-Grad-Welt verhindern? Ich denke, wir möchten sie nicht erleben und auch unseren Kindern auf keinen Fall zumuten.

Wie sähe eine 3-Grad-Welt aus?

RAHMSTORF Seit dem späten 19. Jahrhundert hat sich die Erde bereits um etwa 1,2 Grad erwärmt. Wir sehen heute schon die Folgen in Form von extremen Hitzewellen, Starkregen-Ereignissen, Waldbränden, stärkeren Tropenstürmen und einem steigenden Meeresspiegel. Ein Laie würde jetzt wahrscheinlich denken: Okay, 3 Grad, das wäre dann wohl knapp dreimal so schlimm. Das Problem ist aber, dass manches mit der Temperatur tatsächlich exponentiell nach oben geht – beispielsweise die Fähigkeit der Luft, Wasserdampf aufzunehmen und abzuregnen. Das bedeutet, dass Extremniederschläge eben mehr als nur proportional zunehmen. Und es gibt Kipppunkte im Klimasystem, bei deren Überschreiten es zu ganz einschneidenden Veränderungen kommt, weil dann Systeme zusammenbrechen, zum Beispiel Wälder, die ihre Belastungsgrenzen überschreiten und dann absterben oder abbrennen. Beim Meeresspiegel nimmt die Geschwindigkeit des Anstiegs annähernd mit der Temperatur zu, sprich: Bei 3 Grad Erwärmung steigt er dreimal so schnell wie bei 1 Grad.

Stefan Rahmstorf gehört zu den führenden Klimaforschern weltweit – und warnt seit Jahren vor den massiven Gefahren der globalen Erwärmung.

Stefan Rahmstorf gehört zu den führenden Klimaforschern weltweit – und warnt seit Jahren vor den massiven Gefahren der globalen Erwärmung.

Foto: Astrid Eckert

Bei diesem Punkt glauben sicher viele Saarländer, dass er sie nicht betrifft – das Meer ist ja weit weg...

RAHMSTORF Deutschland ist natürlich auch von dem betroffen, was in anderen Ländern an den Küsten passiert, weil das politische Instabilität und Fluchtbewegungen auslösen und dann auch die Politik bei uns verändern wird. Wir haben das bei der Syrienkrise gesehen, die nach der schlimmsten Dürre der syrischen Geschichte ausgebrochen ist. Wir sind vom Weltgeschehen keineswegs isoliert. Aber direkte Auswirkungen wie Hitzewellen haben bereits jetzt in Deutschland um ein Vielfaches zugenommen – laut einer Studie tritt extreme Hitze heute schon 90-mal so oft auf wie noch in den 1950er- bis 80er-Jahren. Und die, muss man klar sagen, ist tödlich: Im Sommer 2003 gab es in Europa 70 000 Hitzetote. In Frankreich, wo der Schwerpunkt lag, starben auf dem Höhepunkt der Hitzewelle deutlich mehr Menschen an Hitze als während des Höhepunkts der Corona-Pandemie. Der zweite Punkt sind extreme Niederschläge. Deren verheerende Auswirkungen muss man nach der Flutkatastrophe im Ahrtal wohl niemandem mehr erklären. Deren Zunahme ist seit 30 Jahren von der Klimaforschung vorhergesagt worden. Die Physik dahinter ist klar, das sehen wir inzwischen auch deutlich in den Messdaten, wie der IPCC (Weltklimarat, Anm. d. Red.) im letzten Bericht festgestellt hat. Gleichzeitig bekommen wir Probleme mit zunehmender Dürre.

Uns drohen mehr Niederschläge, aber auch mehr Dürre?

RAHMSTORF Das klingt für den Laien vielleicht paradox. Der Grund ist, dass die Extreme größer werden: Die Niederschläge werden seltener, dafür steigt die Menge, die runterkommt. Extreme Niederschlagsereignisse nehmen um sieben Prozent pro Grad Erwärmung zu, der Nachschub an Wasser aus den Ozeanen – sprich, die Verdunstung – allerdings nicht. Das führt, vereinfacht gesagt, zu längeren trockenen Phasen, bis die Atmosphäre wieder gesättigt ist und es wieder regnet. Natürlich gibt es da starke regionale Unterschiede.

Sie schreiben im Buch, dass die weltweite Klimapolitik durchaus Fortschritte macht. Nun wurde kürzlich auf dem G-7-Gipfel ein zentrales Versprechen der letzten Weltklimakonferenz gebrochen: Auf deutsches Drängen hin sollen fossile Investitionen im Ausland weiterhin erlaubt sein. Wie finden Sie das?

RAHMSTORF Erschreckend, zumal das ja kein Einzelfall ist. Ich beobachte die Klimapolitik seit 30 Jahren. Fast jedes Jahr gibt es irgendeinen akuten Grund wie jetzt den Ukrainekrieg, weshalb Klimaschutz gerade nicht passen soll. Nachdem wir das so lange gemacht haben, stehen wir jetzt an einem Punkt, wo das Ziel des Pariser Klimaabkommens, die Erwärmung auf 1,5 Grad zu begrenzen, nur noch ganz knapp zu erreichen ist. Daher können wir es uns nicht mehr erlauben, auch nur ein weiteres Jahr zu verlieren. Der letzte IPCC-Bericht hat gezeigt: Wir müssen bis 2030 den weltweiten CO2-Ausstoß halbieren – in acht Jahren.

Und trotzdem diskutieren wir über E-Fuels...

RAHMSTORF Es ist gut, dass wir über Lösungen debattieren statt, wie es jahrzehntelang aufgrund des Drucks von starken Lobbygruppen passiert ist, über die Frage, ob der menschengemachte Klimawandel überhaupt existiert. Über diese Scheindebatten sind wir endlich hinweg. Man wundert sich aber über manche Parteien, die immer von Innovationen reden, aber sich dann an alten Technologien wie dem Verbrennungsmotor festklammern.

An die Stelle der Leugner sind nun die Klimaschutz-Bremser getreten.

RAHMSTORF Das ist ein Problem. „Wir sind für Klimaschutz, aber nicht so schnell, wir müssen die Menschen mitnehmen“ – dafür ist es jetzt zu spät. Deutschland muss seine Emissionen stärker reduzieren als andere Länder, weil wir einen weit überdurchschnittlichen Pro-Kopf-Ausstoß und deshalb auch eine höhere Verantwortung haben. Gleichzeitig müssen wir anderen Ländern finanziell und mit unserer Technologie helfen. Wir können uns keine Verzögerung leisten. Es ist ja nicht so, dass wir die 1,5-Grad-Grenze dann einfach später erreichen – sie ist dann einfach gar nicht mehr erreichbar. Die globale Erwärmung lässt sich auch nicht zurückdrehen, die ist unumkehrbar. Das CO2, das wir heute ausstoßen, ist zum Teil Zehntausende Jahre in der Atmosphäre und lässt sich auch schwer wieder herausholen. Das heißt, wir können nicht zurück, wir können nur vorausschauend handeln. Das ist kein flexibler Zeitplan, sondern er wird durch die Physik vorgegeben.

Das ist eigentlich seit Jahrzehnten bekannt, aber Wissenschaftler haben sich zu dem Thema sehr lange eher zurückhaltend geäußert. Trifft sie eine Mitschuld?

RAHMSTORF Ich finde es zunächst einmal vorbildlich, dass es eine Institution wie den IPCC gibt, der 1990 seinen ersten Bericht vorgelegt hat. Aber das sind eben wirklich dicke, sorgfältig erarbeitete Texte, an denen Hunderte Forscher mitgearbeitet und sehr nüchtern den Sachstand zusammengefasst haben – nicht leicht lesbar. Man hat es den Medien überlassen, das für die breite Öffentlichkeit zu übersetzen. Ich denke schon, dass sich zu wenige Wissenschaftler aktiv in die Debatte eingeschaltet haben. Einerseits wohl aus Zeitdruck, andererseits wurde man in den Medien massiv angegriffen, wenn man sich äußerte, als „alarmistisch“ bezeichnet. Das hat viele Kollegen abgeschreckt.

 „3 Grad mehr – Ein Blick in die drohende Heißzeit und wie uns die Natur helfen kann, sie zu verhindern“ erschien am 7. Juli im Oekom-Verlag. Herausgeber ist die in Saarbrücken ansässige Stiftung „Forum für Verantwortung“.

„3 Grad mehr – Ein Blick in die drohende Heißzeit und wie uns die Natur helfen kann, sie zu verhindern“ erschien am 7. Juli im Oekom-Verlag. Herausgeber ist die in Saarbrücken ansässige Stiftung „Forum für Verantwortung“.

Foto: Verlag Oekom

Haben die Medien Fehler gemacht?

RAHMSTORF Es gibt in Deutschland guten Wissenschaftsjournalismus, aber viele Medien haben zu lange eine Scheindebatte gepflegt zwischen Klima-Wissenschaftlern und -Skeptikern, ähnlich wie zwischen Virologen und irgendwelchen Querdenkern. Es ist deshalb sehr lange der Eindruck entstanden, dass sich die Wissenschaft uneinig ist über die globale Erwärmung, obwohl schon längst ein Konsens bestand.

Langsam kommt das Thema aber bei der breiten Masse an...

RAHMSTORF Ich denke, inzwischen merken auch die Normalbürger vor Ort den Klimawandel ziemlich deutlich. Der Nobelpreisträger Sherwood Rowland hat es schon vor Jahrzehnten so ausgedrückt: „Was nützt eine Wissenschaft, die Vorhersagen treffen kann, wenn die Leute dann nur bereit sind, rumzustehen und zu warten, bis sie eintreten?“ Die Menschen glauben es erst, wenn sie es mit eigenen Augen sehen, aber dann ist es halt zu spät. Und genau deswegen müssen wir jetzt so scharf auf die Bremse treten.

Das Potsdam-Institut für Klimafolgenforschung, an dem Sie tätig sind, hat schon Ex-Kanzlerin Angela Merkel (CDU) beraten, die als Physikerin das alles ja versteht. Trotzdem wurde unter ihrer Regierung der Ausbau der erneuerbaren Energien sogar ausgebremst. Wie erklären Sie sich das?

RAHMSTORF Es gibt zwei Interpretationsmöglichkeiten: Entweder, Merkel hat ihr Bestes versucht, konnte sich aber in ihrer Partei nicht durchsetzen. Oder sie hat sich nie wirklich bemüht, sondern immer nur moderierende und ausgleichende Politik gemacht statt klare Führung. Wir haben die Politik beraten, aber was dann damit passierte, was in den Köpfen der Politiker vor sich geht, weiß ich nicht.

Was muss jetzt getan werden?

RAHMSTORF Wir dürfen beim Ausbau der erneuerbaren Energien nicht mehr zögern, aber es geht nicht nur um Strom. Andere Sektoren verursachen ebenfalls Emissionen. Es reicht auch nicht, zu reduzieren, sondern wir müssen auf Null kommen. Beim Heizen ist die Wärmepumpe als technische Lösung vorhanden, die Verkehrswende besteht nicht nur aus einem Wechsel des Antriebs hin zum Elektromotor, sondern einer generellen Reduktion des individuellen Autoverkehrs zugunsten von mehr Radverkehr, ÖPNV und Fernverkehr. Auch in der Industrie gibt es ein Umdenken und die technologischen Optionen, um beispielsweise CO2-frei Stahl zu produzieren.

Da steht das Saarland mit seiner Industrie ja vor ganz besonderen Herausforderungen.

RAHMSTORF Ich glaube, Politiker und Wirtschaftsführer, die diese Transformation hinauszögern, erliegen häufig dem Denkfehler, dass sie der Wirtschaft damit einen Gefallen tun. Das ist nicht der Fall: Wer diese Veränderungsprozesse verschläft, gerät bei der internationalen Konkurrenz ins Hintertreffen. Es werden die gewinnen, die möglichst früh die Innovationen entwickeln, die die klimaverträgliche Wirtschaft der Zukunft ermöglichen.

Inzwischen haben sich Teile der Klimabewegung radikalisiert, die „Letzte Generation“ macht mit Autobahnblockaden Schlagzeilen. Auch immer mehr Wissenschaftler organisieren sich bei „Scientist Rebellion“. Wird das noch weiter eskalieren?

RAHMSTORF Ich weiß es nicht, ich bin da nicht dabei. Aber ich denke, es ist nachvollziehbar, wenn Menschen zu radikaleren Protestformen greifen, wenn man bedenkt, was auf dem Spiel steht. Es geht nicht nur um die Zukunft unserer Kinder. Auch Menschen meines Alters (Anm. d. Red.: 62 Jahre) wird das in den nächsten Jahrzehnten sehr direkt betreffen, wenn wir die globale Erwärmung nicht sehr schnell stoppen.

Haben Sie Hoffnung, dass wir das Ruder noch rumreißen können?

RAHMSTORF Ja, weil wir dazu in der Lage sind. Wir haben die Technologie und die finanziellen Mittel, die Klimakatastrophe noch rechtzeitig abzuwenden. Ob das passieren wird, ist die andere Frage, aber auch in der Politik gibt es Kipppunkte. Wir haben es beim Fall der Mauer gesehen – den haben auch sehr wenige vorhergesagt. Vielleicht stehen wir an einem Punkt, an dem Klimaschutz jetzt endlich als Priorität behandelt wird. Fridays for Future hat da schon ein erhebliches Umdenken in der öffentlichen Meinung und Politik ausgelöst, nicht nur in Deutschland.

Das Buch „3 Grad mehr“ erschien am 7. Juli im Oekom-Verlag. Das Kapitel von Professor Stefan Rahmstorf können Sie hier im PDF-Format kostenlos lesen.

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