Behinderte haben ein Herz für Literatur Vom Glück, sich groß und frei zu fühlen

Kleinblittersdorf · Zwei Bewohnerinnen der Behindertenhilfe im Kleinblittersdorfer Hanns-Joachim-Haus machten bei einem Literaturwettbewerb mit. Und sie hatten Erfolg.

() Freiheit, größer zu sein als sonst, es endlich geschafft zu haben – diese und weitere Gefühle beschreibt Nadine Dietrich in einem Text. Der Bielefelder Verein „Die Wortfinder“ wählte ihn unter rund 1000 Beiträgen aus und veröffentlicht das Werk in seinem Literaturkalender 2018. Nadine Dietrich schrieb über ihre Erlebnisse in der Reitpädagogik. „Ich bin großartig, ich habe es geschafft, mich auf dem Pferd zu halten, ohne runterzufallen“, heißt es darin. Ihr Pferd Sam sei „großartig und mutig“. Es mache ihr „großen Spaß, mich groß zu fühlen, und nicht nur klein“.

Das passte genau zum Thema, das der Bielefelder Verein Wortfinder seinem siebten Literaturwettbewerb für Menschen mit geistiger Behinderung bzw. einer Lernbehinderung gab: „Von großen und von kleinen Dingen“. „Auf dem Pferd an der frischen Luft geht es mir immer direkt besser“, sagt Nadine Dietrich. Seit einem Jahr geht sie alle zwei Wochen zum Heilpädagogischen Reiten zu Manuela Heuft, der Reitpädagogin auf dem Erlenbacher Hof in Ensheim, putzt die Pferde, streichelt sie. „Erst mal musste ich Vertrauen aufbauen, und es war schwierig, sich oben zu halten, weil ich immer wieder weggerutscht bin. Aber jetzt ist es optimal.“ Dass ihr Beitrag nun im Literaturkalender stehen wird, hat die 43-Jährige überrascht: „Damit hätte ich niemals gerechnet.“

Ähnlich geht es Stefanie Scherer, die zum zweiten Mal ausgezeichnet wird. Stolz zeigt die 34-Jährige den Kalender mit ihrem Beitrag, der in ihrem Zimmer hängt. „Ich bin baff, dass es gleich noch mal geklappt hat“, sagt sie.

Sie schreibt in ihrem Gewinner-Beitrag von Ängsten und Schmerz, Regeln und Verboten sowie neuen Freiheiten. „Aber ich habe großen Mut, allen zu sagen: Mir darf niemand mehr wehtun.“ Schreiben ist für Stefanie Scherer eine Möglichkeit, Gefühle zu teilen. „Meine Gedanken fließen einfach in meine Texte“, sagt sie. „Ich schreibe sie lieber auf, als darüber zu reden.“

Stefanie Scherer liest gern – am liebsten Harry-Potter-Romane – und schreibt ganze Bücher ab, um ihr Schriftbild zu verbessern – derzeit arbeitet sie an „Der alte Mann und das Meer“. Im vorigen Kalender stand ihr Beitrag auf dem November-Blatt. Jetzt hofft sie „dass ich etwas weiter vorne zu lesen bin“.

Meistgelesen
Neueste Artikel
Zum Thema
Aus dem Ressort