Der letzte Hexenprozess mit effektvollen Akzenten

Bliesransbach/Gräfinthal. Brauchtum, Tradition und Heimatpflege werden heute leider oft auf feuchtfröhliche Schunkelveranstaltungen im Trachtenkostüm reduziert. Verbundenheit mit dem Leben gestern und heute in der Region und niveauvolle Unterhaltung müssen sich jedoch keinesfalls ausschließen. Wie das geht, hat die Produktion des Kultur- und Trachtenverein Bliesransbach e.V

 Die vermeintliche Hexe (Sandra Worthmann-Follmar) wird kahlgeschoren und zum Scheiterhaufen geführt. Eine Szene aus der Freiluft-Theater-Premiere in Bliesransbach. Foto: Becker&Bredel

Die vermeintliche Hexe (Sandra Worthmann-Follmar) wird kahlgeschoren und zum Scheiterhaufen geführt. Eine Szene aus der Freiluft-Theater-Premiere in Bliesransbach. Foto: Becker&Bredel

Bliesransbach/Gräfinthal. Brauchtum, Tradition und Heimatpflege werden heute leider oft auf feuchtfröhliche Schunkelveranstaltungen im Trachtenkostüm reduziert. Verbundenheit mit dem Leben gestern und heute in der Region und niveauvolle Unterhaltung müssen sich jedoch keinesfalls ausschließen. Wie das geht, hat die Produktion des Kultur- und Trachtenverein Bliesransbach e.V. am Freitag auf dem Kirchplatz gezeigt. Das Stück "Der letzte Hexenprozess von Ransbach" ist zu einer Art Legende im Ort avanciert. Denn vor 50 Jahren feierte das zweiaktige Schauspiel von Theodor Follmar seine Premiere. Mittlerweile hat es eine Erweiterung zu abendfüllender Größe erfahren, wobei die nachfolgenden Generationen der Familie Follmar maßgeblich beteiligt waren. Herausgekommen ist eine Mischung, die alle Ansprüche erfüllt. Elemente des klassischen Volkstheaters treffen auf zeitgenössische Choreographien von Susanne Da Ros und ihrer Truppe, die Originalschauplatzatmosphäre des Kirchenvorplatzes mit der Gerichtslinde auf moderne Bühnentechnik. Ein großes Lob gebührt auch Maske und Kostümen, die effektvolle Akzente setzen. Die Geschichte ist historisch verbürgt und liebevoll nachrecherchiert, wenngleich einige dramaturgische Anpassungen vorgenommen werden mussten. Kurz gesagt, geht es um den 1618 im Ort geführten Hexenprozess gegen die junge Bärbel Kalle. Dieser Prozess ist in vielerlei Hinsicht bedeutsam, denn er markiert den letzten in einer langen Reihe von Leiden, das unschuldige Frauen in der Region erfahren mussten. Den Autoren ist das Kunststück geglückt, einen Einblick in die Gefühlswelt des 17. Jahrhunderts zu geben und Zuschauern von heute eindringlich zu erklären, wie das Phänomen Hexenverfolgung überhaupt auf so fruchtbaren Boden in der Bevölkerung fallen konnte. Das funktioniert zuletzt deshalb so hervorragend, weil jeder Darsteller bis in die kleinste Nebenrolle hinein seine Partie mit größtmöglicher Authentizität verkörpert. Christa Scherer als verschmähte Schwiegermutter in spe beklagt ihre verhexten, totgeborenen Ferkel, Emile Schoendorff gibt den naiven Nickel und Dietmar Petry als Büttel übertreibt maßlos. Unterstützt werden die Belastungszeugen von den tatkräftigen Zwischenrufen der versammelten Klatschweiber auf der Tribüne, trefflich umgesetzt von Mitgliedern des Kultur- und Trachtenvereins, der Volkstanzgruppe Lautzkirchen, den Weinbergrittern und den Waldläufern. Der Richter (Armin Follmar) und seinem Schöffenteam (Peter Kohl, Jörg Lück, Willi Gogollock) gelingt das Wechselspiel zwischen Profitgier, persönlichen Empfindungen und gesundem Menschenverstand hervorragend. Sandra Worthmann-Follmar gibt die Angeklagte Bärbel und ihr Leid mit beklemmender Intensität, glanzvolle Darbietungen gibt es auch von Daniel Worthmann (Florian), Marcel Hensgen (Mönch) und Stefan Klopp als gnadenlosem Profoss. Am Ende steht der Freispruch für Bärbel, die Aufklärung der alten Mär vom Brückenhund und begeisterter, verdienter Applaus für ein energiegeladenes Sommertheater, das unter die Haut geht. sad Nächste Termine. 16, 17. Juli (20.30 Uhr) und 18. Juli (16 Uhr) Naturbühne Gräfinthal.naturbuehne-graefinthal.de

Meistgelesen
Neueste Artikel
Zum Thema
Aus dem Ressort