Nach rechtsextremistischem Anschlag in Halle Juden im Saarland sehen „neue Qualität der Bedrohung“

Saarbrücken · Statt nutzloser „Schaufensterreden“ der Politik nach dem Anschlag in Halle fordert die jüdische Gemeinde im Saarland bildungspolitische Taten.

 Der Vorplatz der Synagoge in Saarbrücken wurde aus Sicherheitsgründen umgestaltet und mit Pollern (rechts) gesichert.

Der Vorplatz der Synagoge in Saarbrücken wurde aus Sicherheitsgründen umgestaltet und mit Pollern (rechts) gesichert.

Foto: BeckerBredel

Der Anschlag von Halle hat in der jüdischen Gemeinde im Saarland „Sorge in höchstem Maße“ ausgelöst, wie Richard Bermann, Vorsitzender der Synagogengemeinde Saar, im Gespräch mit unserer Zeitung erklärt. Mit dem Anschlag sei eine „neue Qualität der Bedrohung“ erreicht worden. „Es ist auch diese neue Form der Attacke gegen jüdische Einrichtungen, die uns ängstigt“, sagte Bermann. Zudem spiegelten die dokumentierten Verschwörungstheorien des Attentäters, in denen Juden als Sündenböcke für diverse Probleme herhalten müssen, eine zunehmend festzustellende Entwicklung, so Bermann. „Wir sind deshalb schon seit längerer Zeit in Sorge“, sagt Bermann. Viele der rund 850 Mitglieder der Synagogengemeinde Saar trauten sich „nicht mehr, mit der Kippa durch Saarbrücken zu laufen“. Gewachsen sei auch „die Dreistigkeit derer, die die Hetze verbreiten – nicht zuletzt dank der sozialen Medien“. Dass die Synagoge in Halle nicht polizeilich geschützt wurde, noch dazu an einem so hohen jüdischen Feiertag wie Jom Kippur, nennt Bermann „unverzeihlich“.

Ob der Schutz der Synagoge in Saarbrücken ausreichend ist, vermag Bermann nicht zu sagen. Fest stehe nur: Zu ihrem Schutz sei einiges auf die Beine gestellt worden. So gebe es dort seit 2001 eine Eingangsschleuse, Panzerglastüren, einen privaten Sicherheitsdienst sowie Videoüberwachung innen und neuerdings vom Landeskriminalamt überwacht auch im Außenbereich. Patrouillierende Streifen der Polizei seien aus Kostengründen abgeschafft worden. „Das kann ich auch verstehen“, sagt Bermann. Zudem wurde der Vorplatz sicherer gestaltet, und Poller verhinderten nun die ungehinderte Zufahrt von Autos. Allerdings, so Bermann, seien die Poller während aktueller Bauarbeiten in der Nachbarschaft tagsüber meist heruntergefahren „und bieten daher nicht den Schutz, für den sie eigentlich eingerichtet wurden“. Die Polizei hat unterdessen den Schutz jüdischer Einrichtungen im Saarland verstärkt. Auch Friedhöfe und Kultureinrichtungen der jüdischen Gemeinde im Saarland stünden im Fokus, hieß es.

Von der Politik fordert Bermann als Reaktion auf den Anschlag in Halle „bitte keine Schaufensterreden, die bringen nichts“. Hilfreich sei vielmehr eine Bildungspolitik, die in den Schulen auf mehr Aufklärung setzt. „Es gibt da Klassenfahrten in die Karibik oder wer weiß wohin, dabei könnte man auch mal Gedenkstätten wie das ehemalige Konzentrationslager Struthof im Elsass besuchen.“

Roland Rixecker, der Antisemitismusbeauftragte der saarländischen Landesregierung, bewertet die Sicherheitslage der Synagoge in Saarbrücken als „gut“. Er habe sich noch im Sommer ausführlich damit befasst, erklärt Rixecker gegenüber der SZ. „Aber natürlich ist man nie vor einer furchtbaren Überraschung sicher“, räumt Rixecker, auch Verfassungsgerichtshof-Präsident im Saarland, ein. Auch schätzt er die Bedrohungslage im Saarland anders als in Halle ein. „Aber man sollte nicht verkennen, dass es rechtsextreme Netzwerke gibt, die sich deutschlandweit vernetzen.“ Nach Angaben Rixeckers ist die Zahl der antisemitischen Übergriffe im Saarland zuletzt „auf niedrigem Niveau gestiegen“. So habe es im ersten Halbjahr 2019 insgesamt 13 antisemitisch motivierte Straftaten gegeben. Dabei habe es sich zumeist um Sachbeschädigungen und Beleidigungen gehandelt, tätliche Angriffe habe es nicht gegeben. „Das große Glück im Saarland ist – wenn man so will –, dass es vergleichsweise viele Organisationen gibt, die sich dem Kampf gegen den Antisemitismus verschrieben haben“, so Rixecker.

Landtagspräsident Stephan Toscani (CDU) hat gemeinsam mit Rixecker ebenso wie Saarbrückens Oberbürgermeiter Uwe Conradt (CDU) die saarländische Bevölkerung zur Teilnahme an einem Gottesdienst in der Saarbrücker Synagoge (Lortzingstraße 8) aufgerufen – als Zeichen der Solidarität mit Bürgern jüdischen Glaubens. Der Gottesdienst findet heute um 19 Uhr statt.

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