Interview Wohnungsnot – wie im Gründungsjahr 1919

Saarbrücker Siedlungsgesellschaft hat fast 7000 Wohnungen. Für viele ist die Siedlung die letzte Hoffnung auf eine bezahlbare Bleibe.

 Ein Bild aus der Frühzeit der Siedlung auf der Folsterhöhe in Alt-Saarbrücken.

Ein Bild aus der Frühzeit der Siedlung auf der Folsterhöhe in Alt-Saarbrücken.

Foto: Archiv SGS

Vor 100 Jahren wurde die Saarbrücker Siedlungsgesellschaft gegründet. Wir sprachen mit Hildegard Wald (kaufmännische Geschäftsführung) und Heinz-Peter Klein über die Aufgaben einer Siedlungsgesellschaft im 21. Jahrhundert.

Die Siedlungsgesellschaft feiert 100-Jähriges. Was hat sich seit der Gründung verändert?

Hildegard Wald: Es gibt gar keinen ganz großen Unterschied. Im Gründungsjahr war eine Wohnungsnot oder Nachfrage nach günstigem Wohnraum da. Die Situation haben wir eigentlich heute wieder. Natürlich geht es heute um modernen Wohnraum. Aber das Grundbedürfnis ist nach wie vor aktuell.

Also ist die Siedlung, wie sie ja genannt wird, gefragt wie eh und je?

Heinz-Peter Klein: Ich denke, das sind die inhaltlichen Sachen. Was sich geändert hat, sind die Rahmenbedingungen. Insbesondere die Rahmenbedingungen rechtlicher Art. Das Baurecht, die DIN-Normen, die technischen Anforderungen sind in keinster Weise vergleichbar mit vor 100 Jahren. In den letzten zwanzig Jahren ist die Zahl der Richtlinien im Baurecht enorm gestiegen. Das lähmt das Verfahren und ist für viele nicht mehr durchschaubar.

Was ist denn das größte Problem für Ihre Gesellschaft?

Klein: Brandschutz ist ein Riesenthema. Der ist natürlich sinnvoll und notwendig. Aber wir haben Bestände teilweise aus den Zwanzigern, das Meiste aus den fünfziger, sechziger Jahren. Wenn ich die kernsaniere, kann ich nicht das heutige Regelwerk anlegen und so tun, als würde ich komplett neu bauen.

Müssen Sie aus diesem Grund bei bestimmten Häusern eine Renovierung ausschließen?

Klein: Wenn diese Regelung weiterhin so greifen würde, kämen wir beim Renovieren im Bestand an die Grenzen. Und Abriss und Neubau ist oft wirtschaftlich nicht darstellbar.

Bedeutet „nicht darstellbar“, dass man nicht renovieren kann und die Wohnung bleiben muss, wie sie ist?

Klein: Sie würde dann tatsächlich bleiben, wie sie ist. Oder man müsste abreißen und neu bauen. Man muss allerdings sehen, dass man damit auch Werte vernichtet. Man muss das ökonomisch und ökologisch sehen. Jeder Neubau bedeutet Flächenversiegelung. Ökonomisch ist oft eine Kernsanierung richtig. Das ist dann kein kompletter Neubau, sondern eine Art Zwitterlösung.

Wald: Schon marginale Veränderungen führen dazu, dass der Bestandsschutz entfernt wird. Nehmen wir den 13-Geschosser auf der Folsterhöhe. Da haben wir einen Aufzug vorangestellt. Beim Zwillingsbau im Königsbruch werden wir das so nicht machen, weil wir größtmöglichen Bestandsschutz erhalten wollen. Heute ist man darauf fixiert, alles zu 100 Prozent zu haben; 100 Prozent Brandschutz, 100 Prozent Barrierefreiheit. In den 50er/60er Jahren war alles ein bisschen pragmatischer. Von der Maximalforderung müsste man ein wenig abrücken.

Es wird ja niemand wegen der Siedlungsgesellschaft das Baurecht ändern.

Klein: Das wäre sehr schön. Das betrifft ja nicht nur die Saarbrücker Siedlungsgesellschaft. Das betrifft ja alle kommunalen oder öffentlich getragenen Wohnbaugesellschaften bundesweit. Und natürlich auch private. Ein anderes Problem ist auch, dass wir – das ist unserer föderalen Struktur geschuldet – 16 Landesbauordnungen haben. Jeder spricht davon, dass schnell und günstig gebaut werden soll. Aber alles, was in den letzten fünf, sechs Jahren an Gesetzen erlassen wurde, bewirkt genau das Gegenteil.

Hat die Siedlungsgesellschaft schon Gebäude abgerissen und neu gebaut, weil das Renovieren zu schwierig war?

Klein: Noch nicht, aber wir haben ein Projekt, das wir aus wirtschaftlichen Gründen entmieten und zurückbauen wollen.

Rückbau heißt Abriss.

Klein: Es hört sich besser an. Und dann bauen wir nach Möglichkeit höher als jetzt; es geht ja auch um die Nachverdichtung.

Es gibt immer mehr Menschen, die keinen bezahlbaren Wohnraum finden. Als einer der Gründe wird angeführt, dass in den letzten Jahren kein sozialer Wohnungsbau betrieben wurde. Wie sieht es bei der Siedlungsgesellschaft aus? Bekommen Sie immer mehr Anfragen, die Sie möglicherweise sogar ablehnen müssen?

Wald: Wir haben 6800 Wohnungen im Bestand. Es ist sehr viel Arbeit, die auf der Höhe der Zeit zu halten. Wir haben Bewohner, die leben seit 30, 40 Jahren in einer unserer Wohnungen. Und es werden aufgrund der Demografie Wohnungen frei, die dann hergerichtet werden müssen. Für uns ist die Bestandspflege eine Hauptaufgabe. Wir müssen bezahlbare Wohnungen zur Verfügung stellen. Aber es geht um mehr, es geht um Quartiere, wo Menschen wohnen, wo es halt auch Schwierigkeiten gibt. Dieses Wohnen muss organisiert werden, das ist auch ein Stück weit unsere Aufgabe. Es ist zu kurz gesprungen, zu sagen, wir haben keine Sozialwohnungen. Wir haben immer noch 4500 Wohnungen im Bestand, die unter 5,50 Euro liegen pro Quadratmeter. Nur weil das Etikett fehlt „sozialer Wohnraum“, heißt es ja nicht, dass es kein bezahlbarer und sozialer Wohnraum ist. Wir haben 603 Wohnungen mit dem Etikett „sozialer Wohnraum“. Das bedeutet, dass sie noch nicht aus der Förderung raus sind. Und wenn Wohnungen aus der Förderung rauslaufen, heißt das ja nicht, dass wir dann die Miete von 5 Euro auf 8 Euro pro Quadratmeter erhöhen. 2018 sprachen die Medien von einer Nullrunde für das Saarland. Das sehen wir ein bisschen anders. Wir haben 2017 und 2018 234 Wohnungen an den Markt gebracht.

Heißt das, Ihnen tut die Schlagzeile „es gibt keinen sozialen Wohnungsbau mehr“ weh?

Wald: Ja.

Klein: Man muss auch die Behauptung hinterfragen, das Wohnen werde immer teurer. Das ist teilweise richtig, aber es ist nicht überall so. Im Saarland sind die Mieten nicht so gestiegen wie in Berlin, Hamburg oder München. Außerdem ist die Siedlungsgesellschaft vorrangig für Menschen da, die sich keine teuren Mieten leisten können.

 Das andere ist aber klebengeblieben als Etikett: Zur Siedlung geht man, wenn man sich nichts leisten kann.

Klein: Ja, und deshalb stört es ein bisschen, wenn man sagt, die Saarbrücker Siedlungsgesellschaft hatte vor zehn Jahren noch 1200, 1300 Sozialwohnungen, jetzt hat sie nur noch 600. Und bei uns ist es ja nicht so, dass nach Teilrenovierungen die Miete fast verdoppelt wird, wie das in großen Städten üblich ist. Aus unserer Sicht haben wir im Saarbrücker Wohnungsmarkt wie insgesamt im Saarland kein quantitatives Problem, sondern ein qualitatives Problem. Das betrifft Wohnungen, aber auch beispielsweise Brücken. Da wurde gebaut und dann 30, 40 Jahre lang nichts gemacht. Und irgendwann muss man sich fragen, ob es sich noch lohnt zu investieren. Genau an diesem Punkt sind wir.

Können Sie den Bedarf an Wohnungen noch abdecken?

Wald: Von der absoluten Zahl her können wir die Nachfrage befriedigen. Wir haben nur nicht immer die Wohnungen genau an dem Ort, an dem sie gesucht werden.

 So sahen Häuser der Siedlungsgesellschaft vor etwa vier Jahrzehnten in der Grülingsstraße aus.

So sahen Häuser der Siedlungsgesellschaft vor etwa vier Jahrzehnten in der Grülingsstraße aus.

Foto: Archiv SGS
 Die Geschäftsführung der Immobiliengruppe Saarbrücken im SZ-Interview: Hildegard Wald und Heinz-Peter Klein.

Die Geschäftsführung der Immobiliengruppe Saarbrücken im SZ-Interview: Hildegard Wald und Heinz-Peter Klein.

Foto: Iris Maria Maurer
 Dieses Bild entstand vor Jahrzehnten in der Taunusstraße. So alte Objekte sind bis heute im Bestand der Siedlung. Sie immer wieder zu modernisieren, ist eine Herausforderung, wie die Unternehmensspitze betont.

Dieses Bild entstand vor Jahrzehnten in der Taunusstraße. So alte Objekte sind bis heute im Bestand der Siedlung. Sie immer wieder zu modernisieren, ist eine Herausforderung, wie die Unternehmensspitze betont.

Foto: Archiv SGS
 Diese Aufnahme aus dem Siedlungsarchiv zeigt die Fenner Straße in Burbach.

Diese Aufnahme aus dem Siedlungsarchiv zeigt die Fenner Straße in Burbach.

Foto: Archiv SGS

Die Siedlungsgesellschaft, das sind ja nicht nur Häuser, sondern das ist ein Umfeld, in dem viele Menschen gerne leben. Und es gibt so genannte Kundencenter in den verschiedenen Quartieren, die auch eine soziale Funktion haben.

Wald: Diese Center sind besetzt mit kaufmännischen Mitarbeitern, mit technischen Mitarbeitern und mit Hausmeistern. Sie alle sind Ansprechpartner für die Mieter. Unsere Mitarbeiter kennen die Mieter sehr gut. Und ihre Aufgabe ist es auch, zu schauen, ob das Gleichgewicht in einem Haus gehalten wird. Sie können nicht jeden in jedes Haus setzen. Es geht dabei darum, Konflikte zu vermeiden, um später nicht Konflikte schlichten zu müssen. Das ist ein Stück weit Sozialarbeit.

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