Saarbrücker Sommer Szene „Die da drüben werden das schon schaukeln“

Saarbrücken · 34 Jahre lang haben Charlie Bick und Marion Künster die Internationalen Straßentheatertage in Saarbrücken organisiert. Jetzt stand das Finale an: Das beliebte Festival fand zum letzten Mal statt. Ohne große Schlussreden.

 Der Wahl-Saarbrücker UliK Robotik ist seit fast 30 Jahren Gast der Saarbrücker „Sommer Szene“. Er präsentierte diesmal eine Welturaufführung.

Der Wahl-Saarbrücker UliK Robotik ist seit fast 30 Jahren Gast der Saarbrücker „Sommer Szene“. Er präsentierte diesmal eine Welturaufführung.

Foto: Kerstin Krämer

Klein und unspektakulär haben sie 1985 angefangen. Und genau so wollten die Festivalmacher Charlie Bick und Marion Künster nun auch aufhören: mit Straßentheater auf Augenhöhe. Keine gigantische Platzinszenierung an zentraler Stelle also. Keine glitzernde und knallende Pyrotechnik. Kein dicker „rosa Elefant“, der übers Firmament fliegt. Stattdessen ging die „Sommer Szene“ zum Finale ihrer letzten Ausgabe in den Malstatter Kiez und lud auf dem weitläufigen Schulhof der Kirchbergschule zu einem bunten Nachmittag, bei dem sich sechs internationale Gruppen und Einzelkünstler abwechselten.

Das war ein Panoptikum all dessen, was Asphaltkunst heute ausmacht: ulkige Improvisation ohne Berührungsängste, charmantes Objekt- und Körpertheater, eine leise Tafel-Installation, Hochleistungs-Variété, maschinengestützte Akrobatik ohne Netz und doppelten Boden und mitreißende Musik.

Die Schweizerin Anita Bertolami erzielt mit kleinen Mitteln große Wirkung: Sie nutzt ihren Körper als Spielfläche und ihre Körperteile als Hauptdarsteller, die sich mittels Requisiten in etwas ganz anderes verwandeln – nonverbale kleine „Körperwelten“ der poetischen Art.

Für den Iren Shiva Grings ist die ganze Welt eine Bühne. Und er spielt mit ihr – spontan, unerwartet, schelmisch. Seine Ausrüstung besteht aus einem Koffer voller Requisiten, einer scharfen Beobachtungsgabe, clownesker Improvisierlaune und einer kindlichen Entdecker-Lust am Spiel. Scheinbar tollpatschig erkundet der Schlaks seine Umgebung und macht das Publikum zum Kumpan seiner spontanen Späße. Vor allem Kinder foppt er zu gerne, und die lassen sich, unbeeindruckt von Sprachbarrieren, quietschvergnügt darauf ein. Aber auch Senioren mischen munter mit – angesichts der Aktionsfreude einer älteren Dame muss Grings gar aufpassen, dass sie ihm nicht die Schau stiehlt. „Straßentheater ist die einzige Form, die alle Menschen zusammen bringt!“ ruft Grings – das Publikum stimmt jubelnd zu.

Abgezirkelt und durchchoreografiert ist dem gegenüber die furiose Show des Japaners Naoto. Der zweifache Weltmeister im Yo-Yo-Spiel agiert wie ein Irrwisch: so rasant, dass es schier unmöglich ist, all seinen Bewegungen zu folgen. Naoto hantiert mit bis zu vier Yo-Yos gleichzeitig, mal ein-, mal zweihändig. Und selbst wenn er sie meterweit hochwirft, hat er immer alles im Griff – wie ein Marionettenspieler, der seine Puppen an sichtbaren Fäden führt.

Nach dieser großen Kleinkunst wird es mechanisch gigantisch: Der Wahl-Saarbrücker UliK Robotik, seit fast 30 Jahren Gast der „Sommer Szene“, präsentiert in Welturaufführung sein Spektakel „RoboCircus“. Seit Jahren widmet sich der „Maschinenkomiker“ der symbiotischen Verbindung von Mensch und Industrieroboter. Hier lässt er sich auf die Avancen einer Maschine ein, deren Kopf aus einer riesigen Rahmentrommel mit montiertem Sicherheitssitz besteht. So rotierte UliK trommelnd durch die Luft, kopfüber und um sich selber kreisend; mal ausgeliefert, mal Dompteur des elektronisch fauchenden Untiers. Am Ende ist es wie bei King Kong: Nur zarte Frauenhand kann die Bestie zähmen. So wird die ferngesteuerte Maschine zum Partner für die atemberaubende Luftakrobatik eines französischen Artisten-Trios, das außerdem mit dem Thema Eifersucht spielt. UliK ist längst international gefragt, aber: „Ohne die Unterstützung von Marion und Charlie wäre ich nicht da, wo ich heute bin!“ bekennt er.

Die Festivalleiter sind gerührt von den Zuneigungsbekundungen, die ihnen von Publikum wie Künstlern zuteil werden. „Guck“, sagt Bick und hebt eine Geschenktüte mit Weinflasche hoch. „Geschenke von unten sind besser als Regen von oben!“ Es sei unglaublich, was die Leute ihnen alles zum Abschied mitgebracht hätten. Und ganz viele wollen einfach nur Danke sagen – so wie der Mann, der tags zuvor in Fechingen das Bedürfnis hatte, Bick die Hand zu schütteln: „Ich wollte mich einfach mal persönlich bedanken dafür, dass Sie uns mit diesem Festival so lange Freude gemacht haben!“ Und eine Frau fragte an gleicher Stelle ungläubig nach, ob nach 34 Jahren wirklich Schluss sei mit den Internationalen Straßentheatertagen. „Ja“, bestätigte Bick: „Die Sommer Szene in ihrer aktuellen Form wird es definitiv nicht mehr geben.“

 Der japanische Yoyo-Artist Naoto wirbelte in seinem knapp 20 Minuten langen Auftritt wie ein Irrwisch umher.

Der japanische Yoyo-Artist Naoto wirbelte in seinem knapp 20 Minuten langen Auftritt wie ein Irrwisch umher.

Foto: Kerstin Krämer

Jetzt schaut Bick zum anderen Ende des Platzes, wo das extravagante französische „Mademoiselle Orchestra“ die Bühne geentert und die Massen mit seiner ansteckend guten Laune auf Party-Temperatur gebracht hat. „Ich glaube“, meint Bick, „wir verzichten auf eine große Schlussrede und lassen den Abend einfach schwofend ausklingen. Die da drüben werden das schon schaukeln“. Eine weise Entscheidung. In bonbonbunten Klamotten und Stöckelschuhen ziehen die sieben temperamentvollen Frolleins eine herrlich burleske Show mit verrückten Inszenierungen ab. Mit ihrem schräg arrangierten Musikcocktail von Brecht/Weill über Les Rita Mitsouko bis zu den Bangles fetzt die fröhliche Damenkapelle jede wehmütige Larmoyanz einfach hinweg.

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