Interview Birgit Metzger „Die Proteste zeigen eine rechte Tendenz in der Gesellschaft“

Saarbrücken · Dr. Birgit Metzger forscht an der Saar-Uni unter anderem zu sozialen Bewegungen. Im Gespräch warnt sie davor, die Wirkung der Corona-Proteste zu unterschätzen.

 An den Protesten gegen die Corona-Maßnahmen nahmen im Mai in Saarbücken bis zu 500 Personen teil. Von einigen Teilnehmern wurden dabei auch immer wieder Verschwörungserzählungen verbreitet.

An den Protesten gegen die Corona-Maßnahmen nahmen im Mai in Saarbücken bis zu 500 Personen teil. Von einigen Teilnehmern wurden dabei auch immer wieder Verschwörungserzählungen verbreitet.

Foto: Tom Peterson

Frau Metzger, die Proteste gegen die Corona-Politik der Regierung sind seit dem jüngsten Wochenende wieder verstärkt in den Fokus der Öffentlichkeit geraten. Was unterscheidet diese Proteste von früheren?

Metzger: Im Vergleich zu den Protesten in den 70ern und 80ern geht die Mobilisierung auf Grund des Internets viel schneller. Viele von denen, die jetzt an den Protesten teilnehmen, verorten sich zudem nicht mehr klar politisch, sondern präsentieren sich eher als besorgte Bürger.

Viele der Demonstranten behaupten,  „weder rechts noch links“ zu sein. Kann man das so einfach sagen?

Metzger: Solche Aussagen sind immer etwas verdächtig. Wenn man sich politisch äußert, verortet man sich auch zwangsläufig im politischen Spektrum. Der Spruch „nicht rechts, nicht links“ kommt ursprünglich aus der frühen Umweltbewegung der 70er Jahre. Damals wollte man sich noch jenseits des klassischen Parteienspektrums positionieren. Heute spielt in meinen Augen eher politische Naivität eine vordergründige Rolle.

Wie meinen Sie das?

Metzger: An den Demonstrationen in Berlin nahmen Leute teil, die sich mit Reichsflagge und anderen Symbolen ganz klar als Rechtsradikale positioniert haben. Gleichzeitig sagen viele der anderen Demonstranten aber, sie würden keine Nazis bei den Protesten sehen. Das bedeutet für mich, dass viele entweder nicht wissen, was diese Fahnen und Symbole bedeuten, oder dass es ihnen egal ist, mit wem sie da auf die Straße gehen.

Besonders im Netz scheinen sich die Proteste gegen die Corona-Politik zunehmend zu radikalisieren. Welche Rolle spielen das Internet und soziale Medien hierbei?

Metzger: Das Internet hat offensichtlich zu einer Art Renaissance der Verschwörungstheorien beigetragen. Über soziale Netzwerke kommen die Menschen, die mit diesem Gedankengut bisher weniger vertraut waren, nun verstärkt in Kontakt. Hinzu kommt, dass es im Internet Bereiche gibt, in denen keine Kontrolle der Diskussion stattfindet. Dort kann dann alles Mögliche geäußert werden, ohne dass der Wahrheitsgehalt geprüft wird, oder ob es sich um menschenfeindliche Äußerungen handelt. Das trägt auch dazu bei, dass solche Radikalisierungstendenzen viel selbstverständlicher stattfinden können.

Dr. Birgit Metzger.

Dr. Birgit Metzger.

Foto: Jörg Pütz

In der Vergangenheit enwickelten sich aus größeren Protesten oft auch gesellschaftliche Bewegungen, wie etwa die Anti-Atomkraftbewegung. Kann aus den Corona-Protesten etwas Ähnliches entstehen?

Metzger: Ich sehe da noch nicht genug Einheit, um schon von einer gesellschaftlichen Bewegung zu sprechen. Dafür ist das Ganze auch noch eine zu junge Entwicklung. Gesellschaftliche Bewegungen definieren sich unter anderem ja auch darin, ein kollektiver Akteur zu sein. Es ist zwar für soziale Bewegungen nicht unüblich, dass eine heterogene Mischung auf Protesten zusammenkommt. Ich sehe hier aber noch keinen breiten Zusammenhalt. Und auch bei den grundlegenden Zielen scheint man sich nicht einig zu sein. Einige wollen in erster Linie die Maskenpflicht abschaffen, während radikalere Kräfte das Grundgesetz abschaffen, oder umschreiben wollen, wie es etwa Michael Ballweg von „Querdenken 711“ gefordert hat. Gleichzeitig pocht man aber auf diese Grundrechte. Das ist an sich total widersprüchlich. Wenn es tatsächlich eine Bewegung werden sollte, deutet meiner Ansicht nach aber vieles aber darauf hin, dass das in eine eher rechte Richtung gehen wird.

Wie sollte man Ihrer Meinung nach mit den Protesten umgehen?

Metzger: Historisch betrachtet sind Wandlungsprozesse oft von kleinen Gruppen angestoßen worden. Man sollte die Proteste also schon ernst nehmen und nicht herunterspielen. Die Proteste zeigen allerdings, dass es in der Gesellschaft rechte Tendenzen gibt, die für bestimmte Denkmuster wie etwa Verschwörungserzählungen offen sind. Das muss man ernst nehmen. Gleichzeitig würde ich das alles aber auch nicht überbewerten. Aktuelle Umfragen zeigen, dass die meisten Menschen in Deutschland die Maßnahmen der Regierung gegen das Coronavirus akzeptieren.

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