659 Einwohner und 592 Hühner

Lummerschied · Der Krieg war drei Jahre vorbei, als der junge Lehrer Herbert Foß eine Bestandsaufnahme in Lummerschied machte. 67 Seiten Beschreibung des Nachkriegs-Dorflebens sind so entstanden, die von Heimatkundlern vor dem Verschwinden im Altpapier bewahrt wurden und die nicht nur statistische Daten wiedergeben, sondern auch die Befindlichkeiten zwischen Alteingesessenen und Bergleuten. Karl-Heinz Janson vom Verein für Industriekultur und Geschichte fasst für uns den Bericht von 1948 zusammen.

Es war mehr ein Zufallsfund, denn der Aufsatz von Herbert Foß befand sich unter vielen Akten, die ins Altpapier sollten. Und der Titel "Das Soziale Umfeld meines Wirkungskreises" ist eher unspektakulär. Erst bei näherem Hinsehen erkennt man, dass es sich um eine genaue Bestandsaufnahme des Dorfes Lummerschied im Jahr 1948 handelt. Foß war Lehrer an der Dorfschule, die 67-seitige Arbeit gehörte vermutlich zu seiner Aufgabe, um in den Schuldienst übernommen zu werden.

Der Aufsatz erlaubt uns heute einen Blick zwei Generationen zurück zu werfen, in eine Zeit, als Lummerschied noch recht abgeschieden lag. Der Ort bestand nicht nur aus Lummerschied selbst. Er hatte 1948 zusammen mit den auf Lummerschieder Bann gelegenen Siedlungen Nordfeld, Wahlschieder Grube, Brückhumes und Mangelhausen 659 Einwohner in 207 Haushaltungen, die in 112 Häusern wohnten.

Von den 142 berufstätigen Personen waren 84 - also nahezu 60 Prozent - im Bergbau beschäftigt. 141 Bewohner des Dorfes waren unter 20 Jahre alt und nur 57 über 50 Jahre. Noch 103 Haushalte hielten sich Vieh: Es gab zwölf Pferde, 72 Kühe, 96 Schweine und neben Ziegen und Schafen auch 592 Hühner im Ort.

Das Dorf befand sich zu dieser Zeit aber bereits in einem sozialen Wandel. Von den einst sieben alteingesessenen Bauernfamilien betrieben nur noch drei die ursprüngliche Landwirtschaft . Die alteingesessene Bevölkerung befürchtete damals für Lummerschied eine Abwärtsentwicklung durch "Vermassung" seitens der Bergleute, wie in anderen Orten der Bergbauregion. Sie fühlten sich wegen ihres Landbesitzes als etwas besseres und achteten darauf, dass ihre Töchter keine "Gruweschtecke" heirateten, wie sie die Bergmannssöhne abfällig nannten. Denn eine solche Heirat wurde als sozialer Abstieg angesehen. Auch war unter der gerade erst beendeten Diktatur der Nazionalsozialisten das Bauerntum als "Reichsnährstand" noch ideologisch verklärt worden.

Keine wollte Magd werden



Doch tatsächlich dominierten 1948 Bergleute und Bergmannsbauern bereits den Ort. Durch den Verdienst auf der Grube und die kleine Nebenerwerbslandwirtschaft hatten sie es zu bescheidenem Wohlstand gebracht. Manch gute Stube der Bergmannsbauern war besser eingerichtet und manche Bergmannsbauernfrau besser gekleidet als die der Vollerwerbslandwirte. Und die Töchter der Bergleute waren nicht mehr bereit, sich wie früher als einfache Mägde zu geringem Lohn zu verdingen. Geschminkte Frauen sah man aber damals in Lummerschied noch nicht.

1948 gab es noch drei Wirtschaften im Ort, die mit zum gesellschaftlichen Dorfleben beitrugen und ebenso zum lokalen Brauchtum. Mit der Familie Feld gab es im Ort auch schon einen Bus- und Lkw-Fuhrunternehmer. Die 1899 eingerichtete einklassige Dorfschule am Hirtenberg in Lummerschied zählte 1948 noch 57 Schüler. Die Kindererziehung erfolgte damals noch meist in der Großfamilie. Bei der Berufswahl der Schulabgänger begann allerdings schon um diese Zeit eine Abkehr vom Bergbau. "Du gescht ma nit uff die Grub", war oft zu hören.

Heute, fast 70 Jahre später, ist vieles Geschichte. Die Landwirtschaft ist zum großen Teil und der Bergmannsbauer ganz verschwunden. Bergbau gibt es nicht mehr, nur der große Betonförderturm erinnert in Lummerschied an die einstige Bedeutung. Es gibt keine Schule und keine Wirtschaft mehr im Ort. Und durch Autos, die nahe Autobahn und Internet ist Lummerschied auch nicht mehr abgelegen. Alle Lummerschieder Bergleute arbeiteten 1948 auf der 1887 eröffneten Grube Göttelborn oder den Nebenanlagen Westfeld bei Holz und der Nordfeld-Anlage auf Lummerschieder Bann. Auch hatte man einige Jahre zuvor mit dem Abteufen eines Schachtes im Ort selbst begonnen, was aber kriegsbedingt eingestellt worden war.

Die Bergmannsbauern wurden von der Grubenverwaltung gefördert, indem es etwa zu den Erntezeiten Urlaub gab. Diese Bergleute waren auch wegen ihrer Robustheit und des Fleißes geschätzt. Doch machte die viele Arbeit auch müde, weshalb in Göttelborn lange das Schild am Grubentor hing: "Komm ausgeruht zur Arbeit".

Wenn junge Bergleute geheiratet hatten, versuchten sie auch, sich bald ein Haus zu bauen, was langsam zur Ortsvergrößerung beitrug. Geschätzt waren bei den Lummerschieder Mädchen und deren Müttern offenbar besonders die fleißigen Humeser Bergleute. Viele von diesen kamen früher zu Fuß auf dem Weg zur Arbeit durch den Ort, und so kam es zu einer beachtlichen Anzahl Eheschließungen. Wegen ihres Fleißes hatten sie den Ruf: "S'is e Humeser Wuhler". Überhaupt war die Beziehung von Lummerschied viel stärker zu Orten wie Wiesbach, Humes oder Uchtelfangen als zu Kutzhof, zu dem man ja eigentlich schon seit 1936 als Gemeindeteil gehörte. Ja, es schien sogar eine gewisse Abneigung spürbar gewesen zu sein.

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