Ein Saarbrücker Schnaps-Experte Helmut Barro und der schlimme Durst

Saarbücken · Ein Saarbrücker ist ein international anerkannter Experte für Spirituosen und teilt sein Wissen im Internet.

 Helmut Barro am Tresen der Saarbrücker „Schillers Pop Up Bar“ gegenüber dem Staatstheater.  Foto: Martin Rolshausen

Helmut Barro am Tresen der Saarbrücker „Schillers Pop Up Bar“ gegenüber dem Staatstheater. Foto: Martin Rolshausen

Foto: Martin Rolshausen

Im Glas von Helmut Barro schmilzt das Eis. Was immer da sonst noch drin war, es ist ausgetrunken. Jetzt erst mal eine Trinkpause. Und wo war er gerade? Ah ja, bei seinem schlechten Gedächtnis. Das ist schuld. Schuld daran, dass er im Internet über schlimmen Durst schreibt. „Schlimmer Durst“, so heißt auch der Blog, in dem sich Helmut Barro mit harten Sachen beschäftigt: Schnaps in jeglicher Form. Am Anfang, im Sommer 2015, sei das eine spontane Idee gewesen, sagt Barro. Wenn er gewusst hätte, dass es mal Leute geben würde, die das ernstnehmen, was er da schreibt, hätte er sich sicher „etwas Seriöseres überlegt“.

Sein Gedächtnis also sei ziemlich schlecht. Deshalb habe er früher, als er noch „eine richtige Leseratte“ war, auf einer Onlineplattform Buchkritiken geschrieben, um dort nachschauen zu können, was er schon alles gelesen hat. Für Schnaps gebe es keine vergleichbaren Plattformen, sagt er. Deshalb habe er seine eigene geschaffen – „den Blog angefangen als Merkhilfe“, wie er sagt.

Helmut Barro ist 43 Jahre alt. Er ist Softwareentwickler, schwäbelt ein ganz klein wenig und kam vor gut einem Jahrzehnt ins Saarland. Das Bier, das er jetzt in der „Schillers Pop Up Bar“ am Saarbrücker Staatstheater bestellt, kommt aus Berlin. Die Menschen, die seine Spirituosen-Bewertungen lesen, kommen aus dem ganzen deutschsprachigen Raum. Er könnte seine Fangemeinde natürlich vergrößern, indem er auf Englisch schreibt, aber, sagt Barro: „Ich schreibe absichtlich auf Deutsch, weil ich gemerkt habe, dass es zu diesem Thema kaum spezielle Blogs in unserer Sprache gibt.“

Die zweite bewusste Entscheidung: Barro vergibt keine Punkte oder Sternchen oder sonstirgendwas für die Sachen, die er ausgetrunken hat. Es gebe Leute, die meinen: „Man muss klar unterscheiden, ob das bewertete Produkt nun drei oder vier Sterne, 86 von 100 oder 92 von 100, drei von zehn oder sechs von zehn oder die ,Doppelte Goldmedaille’ wert ist.“ Er gehört nicht zu diesen Leuten. Barro sagt: „Ich finde das Fuppes.“ Und erklärt das so: Diese Bewertungssysteme seien zu starr. „Manchmal habe ich Lust auf einen kratzigen Whiskey, dem ich zuvor, als ich gerade in meiner süßen Phase war, nur 80 Punkte gegeben hatte – und ich habe keine Lust, dauernd an den Zahlen drehen zu müssen.“

Und überhaupt: „Wie vergleiche ich einen 80-Punkte-Whiskey mit einem 80-Punkte-Tequila? Sind die gleichwertig?“ Außerdem sehe er seinen persönlichen Geschmack „nicht als so objektiv-ideal an, dass ich das behaupten könnte oder wollte“. Wenn man einige der Bewerter, die dies tun, statistisch analysieren würde, „käme eh heraus, dass sie sich trotz der möglichen Bewertungspunkte immer im selben Bereich bewegen – auf einer Skala von eins bis 100 muss eine Spirituose schon extrem schlecht sein, um, sagen wir, zehn Punkte zu bekommen“, erklärt Barro. Das komme auch so gut wie nie vor. „Warum braucht man dann diesen Bereich, wenn eh alles im letzten Drittel oder Viertel der Skala liegt?“, fragt er.

Da sei es doch viel besser, das Gefühl zu beschreiben, das man beim Trinken hat. „In Worten und Formulierungen einen genaueren Eindruck über ein Geschmackserlebnis mitzuteilen“, bringe doch mehr als die „strengen, emotionslosen Zahlen“. Womit der Kenner nicht meint, dass ein „es schmeckt gut“ ausreicht. „Hauptsache, es schmeckt“, lasse er so einfach nicht gelten. „Wenn etwas gut schmeckt, ich aber weiß, dass es schlecht hergestellt wird, kann ich es nicht so richtig genießen“, sagt er. Und damit ist Helmut Barro beim Rum. Als er festgestellt hat, wie viel Zucker teilweise in Rum gemischt wird, habe ihn das „regelrecht empört“. Das sei teilweise ein „Betrug der Industrie“, sagt Barro und erklärt: „Mit Zucker schmeckt auch ein schlechtes Destillat so, als wenn es 20 Jahre im Holzfass gelagert hätte.“

Er wolle niemandem, der das mag, „etwas wegnehmen, aber doch zeigen, was er da trinkt“, sagt Barro. Denn: „Ich sehe in meiner Tätigkeit als Schnapsblogger auch einen gewissen Bildungsauftrag. Und wenn jemand sagt: ,Empfiehl mir mal ein gutes Bier“, dann stelle ich ihm ja auch keinen Radler hin.“

Rum, Gin, Tequila, Whiskey, Cognac – alles gut. Aber er widme sich auch gerne Obstbränden. „Die erfahren viel zu wenig Wertschätzung“, findet der Experte. Und er ist nach gut vier Jahren Testen verstärkt auf der Suche nach regionalen Besonderheiten.

Den Dibbelabbesschnaps, den die Saarbrücker Saar-Whisky-Gruppe macht, hat er so entdeckt. Der sei klasse, sagt Barro. Aber es sei „schwierig, Menschen dafür zu begeistern, gewohnte Pfade zu verlassen und etwas Neues auszuprobieren“. Er will aber nicht aufgeben, Menschen dazu zu ermutigen.

Zum Beruf will er das Ganze nicht machen. Mit seinem Blog verdient er nichts. Es gibt nur ab und zu zum Rum auch Ruhm. Er wurde zum Beispiel eingeladen, mit anderen Experten rund um die Welt zu reisen und in einem Wettbewerb Spirituosen zu verkosten. Das sei „ein Ritterschlag“ gewesen. Aber er „sehe einen Punkt, an dem es zu Ende geht“, sagt Helmut Barro. Er habe da so seine Erfahrungen mit sich selbst: „Ich habe Comics gelesen wie ein Verrückter, und plötzlich hat es aufgehört. Ich habe Bücher gelesen wie ein Verrückter, und plötzlich hat es aufgehört.“ Aber noch sei der schlimme Durst nicht gestillt.

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