Helden der Kindheit Tragisches West-Opfer der deutschen Einheit

Saarbrücken · Steter Begleiter für Generationen: das Sandmännchen in der Bundesrepublik. Nach der Wende in der DDR verlor es seinen Job.

 Verdrängt: eine der wenigen Überbleibsel aus der DDR-Flimmerkastenzeit – das Sandmännchen Ost (rechts). Ihm zu Ehren wich das westliche Pendant nach Jahrzehnten von der Mattscheibe.

Verdrängt: eine der wenigen Überbleibsel aus der DDR-Flimmerkastenzeit – das Sandmännchen Ost (rechts). Ihm zu Ehren wich das westliche Pendant nach Jahrzehnten von der Mattscheibe.

Foto: picture-alliance / ZB/dpa Picture-Alliance/Matthias Hiekel

„Nun, liebe Kinder, gebt fein acht, ich hab‘ euch etwas mitgebracht.“ Was hat mich der kleine Kerl mit diesem Spruch fasziniert. Der mit dem kindlichen Gesichtsausdruck. Trotz grauen Römerbartes. Jeden Abend kurz vor sieben präsentierte mir das Sandmännchen eine Gute-Nacht-Geschichte auf der fernbedienungslosen Mattscheibe, während ich mich im elterlichen Wohnzimmer auf dem Sofa mit meinem ständig wechselnden Lieblingsstofftier herumlümmelte. Nie habe ich mich  darum geschert, was die Absicht hinter dieser öffentlich-rechtlichen Übertragung in Puppentricktechnik ohne Computereinsatz war. Schnurzpiepenegal, dass mich der Geselle einlullen, im Anschluss an das fünfminütige Filmchen in die Federn schicken wollte. Mich zur Ruhe betten? Vergiss es! Lieber wartete ich darauf, mit Mama und Papa Onkel Dieter Thomas Hecks Hitparade mit durchgehecheltem Schnelldurchlauf aufzusaugen.

Obwohl mir schon vor Beginn des TV-Betthupferls klar war, dass ich nicht parieren werde, wollte ich mein Sandmännchen und seine Filmchen nicht missen. Wenn beispielsweise die albernen Zeichentrick-Schweinchen Piggeldy und Frederick ein an den Haaren herbeigezogenes Abenteuer durchlebten. Was offensichtlich meinem schlichten Gemüt zuzuschreiben war, dass ich mich wie Bolle darauf freute. Ich trällerte die Titelmelodie vom ersten Ton an mit. Zum Leidwesen meiner Erziehungsberechtigten immer und immer wieder. Text und notensicher, dachte ich.

Dann war er weg, Von der Bildfläche verschwunden. Ohne Tschüss zu sagen. Mein Begleiter samt seiner ritualisierten Sendung, die ich zuletzt nur beim Blättern durch die Programmzeitschrift wahrnahm. Ohne Ankündigung musste er seinen Platz räumen. Für den Kollegen aus dem Ost-Fernsehen. Gefeuert. Aus den Sandmännchen wurde ein erwachsener Sandmann mit Abendgruß. Auf einmal flimmerte allabendlich nicht mehr mein Freund über  den gewölbten Bildschirm.

Die deutsche Wiedervereinigung hatte somit ein prominentes West-Opfer. Die ARD verbannte ihren Mitarbeiter zugunsten des DDR-Fernsehfunk-Männleins. Ein Zwillingsbruder quasi.  Nun ja, eine gewisse Ähnlichkeit ist nicht zu leugnen. Insider behaupten, dass der Kinderfreund der jungen Bundesrepublik eine Kopie des einstigen Zonen-Vertreters ist. Sei’s drum: Mittlerweile habe ich mich mit dem Nachfolger, dessen kugeligen Kobold Pittiplatsch und der geschwätzigen Ente Schnatterinchen angefreundet. Ja, ich schaue immer noch  ab und zu rein. Und wie damals juckt’s mich nicht die Bohne, dass es eine Gute-Nacht-Gechichte ist. Ich gehorche heute genauso wenig wie vor Jahr und Tag der Glotze.

Sie haben einen Helden der Kindheit? Dann schreiben Sie uns. E-Mail: redstv@sz-sb.de. Post: SZ-Lokalredaktion Saarbrücken, Gutenbergstraße 11 – 23, 66117 Saarbrücken.

Meistgelesen
Neueste Artikel
Zum Thema
Aus dem Ressort