„Flucht ist immer noch Flucht”
Karlsbrunn · Rentner Gunter Tschauder musste als Vierjähriger seine Heimat Oberschlesien verlassen. Sein Schicksal verarbeitete er in einem Buch, indem er den Erzählstrang mit der Flucht zweier syrischer jungen Männer verbindet. Lesung.
Rund zwei Dutzend Besucher folgten am Donnerstag der Einladung der Gemeinde Großrosseln zu einer Lesung. Im Jagdschloss Karlsbrunn stellte Gunter Tschauder (77) sein neues Buch vor: "Der ewige Flüchtling". Der Rentner aus Emmersweiler, ein gelernter Diplom-Kaufmann, hat bereits zwölf Bücher geschrieben.
Sein jüngster Roman basiert auf wahren Begebenheiten. Auf 380 Seiten verbindet der Autor seine eigene Biographie mit den Lebensgeschichten von zwei syrischen Flüchtlingen, die er zusammen mit anderen Asylbewerbern in Großrosseln in Deutsch unterrichtete. Arius und Tatian besuchten ihn monatelang jeden Samstag zu Hause und berichteten detailliert von ihren Erlebnissen. Manches, was ihm die beiden erzählten, kam Tschauder bekannt vor. In seiner Kindheit war er selbst auf der Flucht. Im Januar 1945 musste der Vierjährige mit seiner Mutter und vier Geschwistern seine Heimat Oberschlesien innerhalb weniger Stunden verlassen.
"Da hat sich eigentlich nicht viel getan, Flucht ist immer noch Flucht", stellt der Autor fest. In zwei Erzählsträngen beschreibt er im Wechsel die eigene Odyssee und die von Arius und Tatian. Die beiden heißen im wirklichen Leben anders. Um ihre Persönlichkeit zu schützen, erläutert Tschauder, habe er die Namen geändert. Die Fluchtrouten von 1945 und 2015 werden während der Lesung mit dem Beamer an die Wand geworfen. Einer der beiden Syrer ist mit dabei: Schnell hat Arius die Stationen seiner Flucht an der Karte aufgezeigt.
In Wirklichkeit dauerte die Tour knapp einen Monat. Sie war nicht nur teuer, sondern auch gefährlich. Tschauder liest aus einem Kapitel, das die Flucht über das Ägäische Meer beschreibt. Fünf Versuche waren nötig, um die wenigen Kilometer von der türkischen Küste bis Griechenland zu überwinden. Beim ersten Anlauf, berichtet der Autor, drang Wasser durch ein Leck ins völlig überfüllte Schlauchboot. "Wir werden untergehen", schrie eine Frau. Kinder weinten. Die Menschen hatten Todesangst, es herrschten Chaos und Panik. Seekranke Passagiere mussten sich übergeben, einige beteten. Arius rief den Kontaktmann an, bei dem er für die Überfahrt bezahlt hatte. Dessen Kommentar nach der Bitte um Hilfe: "Ich bete zu Gott, dass er euch alle verrecken lässt." Nach neun Stunden wurde die Gruppe von der türkischen Küstenwache gerettet.
Während seiner Flucht, erzählt Arius, habe er drei Arten von Menschen getroffen. Diejenigen, die nur Geld verdienen wollen; diejenigen, die Flüchtlinge als Feinde betrachten. Und diejenigen, die sie als Menschen sehen und ihnen helfen. Viel Unterstützung fanden die Syrer in Großrosseln. Sie wurden in der ehemaligen Grundschule untergebracht, erhielten Deutschunterricht. Erste Kontakte wurden geknüpft. "Der Kirchenchor der katholischen Pfarrgemeinde nahm beide jungen Männer als stimmkräftige Sänger auf", schreibt Tschauder am Ende seines Romans.
Das Taschenbuch von Tschauders Geschichte (ISBN 9781520245423) kostet 14,80 Euro. Gibt's bei Amazon als eBook.
