Damit die Welt klar erkennbar wird

Karlsbrunn. Mia ist acht Jahre alt, ein fröhliches, gesundes Kind, das von Jahr zu Jahr wunderbar gedeiht. Aber neuerdings beobachten die Eltern mit Sorge immer öfter Auffälligkeiten im Verhalten des Mädchens: Mia stolpert gelegentlich über deutlich sichtbare Hindernisse. In der Schule verwechselt sie Buchstaben wie d und b, p und q

Karlsbrunn. Mia ist acht Jahre alt, ein fröhliches, gesundes Kind, das von Jahr zu Jahr wunderbar gedeiht. Aber neuerdings beobachten die Eltern mit Sorge immer öfter Auffälligkeiten im Verhalten des Mädchens: Mia stolpert gelegentlich über deutlich sichtbare Hindernisse. In der Schule verwechselt sie Buchstaben wie d und b, p und q. Sie ist unsicher beim Radfahren und kann Entfernungen und Bewegungen nicht gut einschätzen. Auch das Zuordnen von Formen und Gestalten gelingt ihr nur schwer, weshalb sie sich nicht gerne mit Puzzles oder Lego beschäftigt. Eine gründliche Untersuchung beim Augenarzt ergibt keinen Befund. Der Kinderarzt schließlich empfiehlt eine ergotherapeutische Behandlung. Seine Diagnose: "Visuelle Wahrnehmungsstörung". So vage dieser Begriff auch ist, so zahlreich und unterschiedlich sind auch die Therapieprogramme, mit denen man diese Störung - mal mit, mal ohne Erfolg - behandelt. Diesem Spektrum hat nun der Karlsbrunner Andreas Leschnik (44), Dozent für Ergotherapie, eine neue Variante hinzugefügt: In seinem Buch "Trainingsprogramm für Kinder mit visuellen Wahrnehmungsstörungen" (Verlag Modernes Lernen, 24,80 Euro), das dieser Tage erscheint und sich an Fachleute und Laien richtet, stellt er eine Methode vor, mit der Defizite in der Wahrnehmung von Form, Farbe und Bewegung ganzheitlich behandelt werden sollen. "Ein vergleichbares Programm ist zurzeit nicht auf dem Markt", berichtet Leschnik. "Die visuelle Wahrnehmungsstörung ist im Grunde noch ein Stiefkind der Wissenschaft", sagt Leschnik. Zwar seien einige Trainingsprogramme - Cogpak, Rehacom, Marianne-Frostig-Methode und andere - weit verbreitet, aber mit ihnen werde das Gehirn nur in Teilleistungsbereichen angeregt und könne das Erlernte kaum auf den Alltag übertragen. Entsprechend gering sei der Effekt dieser Methoden. "Das Gehirn kann die Defizite ausgleichen", erläutert Leschnik, "aber meiner Meinung nach am besten durch ein Training, das die Wahrnehmung von Objekteigenschaften im Raum als Ganzes schult." Nach Anamnese und verschiedenen Tests könne dann eine individuelle Therapie begonnen werden, die aus zwölf Trainingseinheiten in der Gruppe besteht. Grundsätzlich empfiehlt er, betroffene Kinder behutsam an Übungen heranzuführen, die Bewegungen im Raum und das Zuordnen von Formen und Farben beinhalten. Geeignet sind Lego-Spiele, LÜK-Kästen, auch mal PC-Spiele wie Tetris, aber keinesfalls Kampf- und Actionspiele. Auch Fernsehen hilft dem Kind nicht weiter. Andreas Leschnik, der zurzeit nicht praktiziert, sondern als Fachhochschul-Dozent und Mitarbeiter eines Weiterbildungsinstitutes für Therapeuten in Karlsbrunn tätig ist, ist überzeugt, mit seinem Buch, das einen Teil seiner Diplomarbeit darstellt, eine Versorgungslücke in der Therapie von visuellen Wahrnehmungsstörungen geschlossen zu haben. Mit einer Dissertation will er das Thema weiter vertiefen.

HintergrundDer Völklinger Kinder- und Jugendarzt Dr. Andreas Niethammer (Foto: privat) berichtet auf SZ-Anfrage, dass visuelle Wahrnehmungsstörungen bei Kindern eher selten auftreten. Vielleicht sei deshalb diese Störung noch nicht genau erforscht. Auch er empfiehlt für die betroffenen Kinder eine ergotherapeutische Behandlung. Deren Qualität, betont Niethammer, sei allein am Erfolg zu messen: "Eigentlich müsste sich ein interdisziplinäres Heer von Augenärzten, Pädagogen, Kinderärzten, Psychologen und Ergotherapeuten gemeinsam mit den Eltern ausgiebig mit diesem Thema befassen, erst dann kann man vielleicht einen Königsweg erkennen." Niethammer weist auch darauf hin, dass die Krankenkassen wegen der therapeutischen Unsicherheit sehr zurückhaltend seien bei der Übernahme der Kosten. kük

Meistgelesen
Neueste Artikel
Zum Thema
Aus dem Ressort