Bauherr in Zeiten der WirtschaftskriseWeicher Franc, harter Dollar: Geschäftspost 1923

Ein ungewöhnliches Haus hat er sich in Karlsbrunn gebaut, der Kaufmann Christian Göbel. Auf dem Hügel gegenüber Kirche und Schloss, Kontrapunkt zur geistlichen und weltlichen Obrigkeit. Ein bürgerlicher Kontrapunkt, nüchtern, ohne Protz. Aber selbstbewusst, eigenwillig - die Rund-Erker bringen städtisches Flair ins Dorf

Ein ungewöhnliches Haus hat er sich in Karlsbrunn gebaut, der Kaufmann Christian Göbel. Auf dem Hügel gegenüber Kirche und Schloss, Kontrapunkt zur geistlichen und weltlichen Obrigkeit. Ein bürgerlicher Kontrapunkt, nüchtern, ohne Protz. Aber selbstbewusst, eigenwillig - die Rund-Erker bringen städtisches Flair ins Dorf. Wer war er, der Bauherr des Karlsbrunner Tannenhofs? Antonia und Gernot Karge, Schwester und Schwager des letzten, 2008 verstorbenen Tannenhof-Bewohners Wilhelm Riemann, haben Dokumente aus der Bauzeit des Hauses zusammengetragen. Die Papiere, mit professioneller Sorgfalt digitalisiert (Gernot Karge war bis zu seiner Pensionierung Kreisarchivar in Saarlouis), erlauben Rückschlüsse. Und geben Einblick in den wirtschaftlichen Alltag der 1920er Jahre. Wer die Wände gemauert, das Dach gedeckt, die Fliesen verlegt hat, ist nicht überliefert. Möglich, dass Göbel sich da - gut saarländisch - auf Familie, Freunde, Nachbarn stützt; er stammt aus bodenständigen Verhältnissen, sein Vater, so steht es im Ahnenpass, ist "Ackerer". Göbel selbst führt einen Tabakgroßhandel. Und pflegt modernen Kontakt zur Welt: Telefonnummer 3 im Ort, Telegrammadresse "Zigarrengoebel Carlsbrunn". Später "holzgöbel", als er in eine andere - krisenfestere? - Branche wechselt. Zum Geschäft gehört Reisetätigkeit, er braucht einen Pass. Gleich drei Ausweise finden sich in den Unterlagen. 1918 königlich-preußisch. 1919 - nach dem verlorenen Krieg ist die Saar besetzt - mit dem Stempel der alliierten Okkupationsarmee. 1923 - das Saarstatut ist in Kraft, der Völkerbund hat das Sagen - mit dem Siegel der Regierungskommission für das Saargebiet. 1923 beginnt Göbel, ein Haus zu bauen. Er ist 46. Seine Frau Katharina - deren Geburtsnamen Lorang er oft dem eigenen hinzufügt - ist 40, die Söhne Wilhelm, Erich und Günther sind elf, zehn und sieben Jahre alt. Der Familienwohnsitz am Waldrand ist großzügig angelegt, vier Zimmer plus Küche parterre, fünf Zimmer plus Bad eine Treppe höher, darüber Mansarden und Speicher, unten drunter Keller. Die Räume haben freilich knappes Maß, Kaufmann Göbel ist sparsam. Auch sonst: Das Tabakhandels-Geschäftspapier muss nach dem Wechsel zum Holzhandel noch lange herhalten. Beim Hausbau rechnet er mit ebenso spitzem Stift: Jedes Päckchen Nägel, jeden Sack Zement hakt er auf den Rechnungen penibel ab, schreibt Fragezeichen, Notizen, Gegen-Rechnungen an den Rand. Material wird nicht auf Vorrat bestellt, sondern nach Bedarf. Mal liefern die Röchling'schen Eisen- und Stahlwerke 1,5 Tonnen Schlackensteine - per Eisenbahn, die seit 1907 bis Großrosseln fährt - , mal kommen nur 300 Steine. Zement, Nägel, Holzlatten ersteht Göbel in Merlebach oder in Völklingen, immer in kleineren Mengen. Oder richten sich die Einkaufs-Portionen nach der aktuellen Kassenlage? "Sofort zahlbar", schreibt ein Völklinger Klempner schon im Frühling 1923 auf seine Rechnung, mit Ausrufezeichen, doppelt unterstrichen. Und je weiter das Jahr voranschreitet, desto energischer drängen Zimmermann, Gipser, Schreiner auf schleunige Zahlung; ein Handwerker reagiert mit einem Einschreibebrief auf einen Verzug von wenigen Tagen. Die Inflation, die in Deutschland galoppiert und die Mark zum wertlosen Papier macht, lässt das mit Francs wirtschaftende Saargebiet nicht ungeschoren: Wenn Firmen auch nur bis übermorgen auf ihr Geld warten müssen, können sie viel weniger dafür kaufen als heute. Dabei sieht es gar nicht aus, als sei Göbel ein säumiger Zahler; eine Fülle von Quittungen zeigt, dass er Forderungen schnell begleicht, in bar. Und bei Geschäftspartnern genießt er Vertrauen. Ganz selbstverständlich bittet ein Kollege aus Merlebach, bei dem Göbels Gipser in der Kreide steht, der Bauherr möge doch den entsprechenden Teil des Rechnungsbetrags "für mich zurückhalten". Nebenbei teilt er mit, dass ein Kunde in Basel, dem er eine Wagenladung Göbelschen Holzes geliefert hat, im Vorfeld die angekündigte Menge anzweifele. Gelassener Kommentar des Merlebachers: "Hoffentlich haben Sie die Vermessung so gemacht, dass ich keine Unannehmlichkeiten bekomme."Im August erreicht die Krise auch Göbel. Er muss sich Geld leihen, privat, 4000 Francs. Der Schuldschein, zerknickt und zerfleddert, sieht aus, als habe Göbel ihn oft und oft zur Hand genommen - sicher nicht nur, damit der Gläubiger die Ratenzahlungen quittieren kann. Aber dann, im Herbst und Winter, geht es voran. Aus Bexbach lässt sich Göbel die Biberschwänze fürs Dach schicken. Die Rolläden kommen gar aus Kaiserslautern, halbes Ausland, was prompt Komplikationen beim Bezahlen heraufbeschwört. Der Innenausbau folgt. Göbel kauft bei einer zweiten Merlebacher Firma Bodenfliesen ein. Die Elektrizitäts- und Gas-Vertriebsgesellschaft Saarbrücken (in der Großstadt sind Telefonnummern immerhin schon vierstellig!) stellt Stromanschlüsse in Rechnung, der Gipser Putz und "Hohlkehl" an den Zimmerdecken, der Schreiner Fenster mit verzierten Beschlägen, Türen mit Ornamentglas - alles topmodern, ganz im Stil der Zeit. Und Mitte 1924 leistet Göbel eine Anzahlung auf "noch zu fertigende Möbel". 1926 ist die letzte Schuldschein-Rate bezahlt. 1927, Göbel ist 50 und hat sein Haus erst zwei Jahre genießen können, bringt ihm ein Sturz vom Pferd den Tod. Änderungen auf der Bauzeichnung zeigen, wie seine Witwe künftig für sich und ihre Söhne sorgen wird: Energisch ist eine Erdgeschoss-Trennwand durchgestrichen, statt "Zimmer" steht jetzt "Wirtschaft" da - 1935 beginnt die lange Gaststätten-Karriere des Tannenhofs. Karlsbrunn. Die deutsche Mark-Krise des Jahres 1923 strahlt auch aufs Saargebiet aus, in dem seit Juni die Franc-Währung gilt. Am 30. Dezember 1923 schickt die Völklinger Baustoff-Firma Salzmann & Martinoli ihrem Kunden Christian Göbel eine Zahlungserinnerung, in der blanke Verzweiflung mitklingt: "Zwecks Jahresabschluss sind wir gezwungen, unsere Außenstände restlos hereinzunehmen. Infolge der ungeheuren Geldknappheit, die sich selbst bei den Banken empfindlich bemerkbar macht, und infolge der sinkenden Kaufkraft des Franken müssen wir Zinsberechnungen und Valutasicherung vornehmen." Das geht so: Auf die offene Forderung von 1063,38 Francs schlägt der Lieferant 26,62 Francs Zinsen auf - und rechnet den Gesamtbetrag dann um in harte Währung, in Dollar. "Sie schulden uns demnach heute noch 61 Dollar, welche wir am Tage der Einzahlung zum Tageskurs in Franken hereinnehmen"; hinzu kommen ab 1. Januar 1924 satte zwölf Prozent Zinsen. "Hochachtungsvollst" fügt der Briefschreiber an: "Wir bitten Sie so dringend wie höflich, uns umgehend Anschaffung zu machen, da wir sonst außerstande sind, unser Geschäft aufrecht zu erhalten." dd "Gestalt: mittel; Haare: blond; Augen: blau; Augenbrauen: blau; Nase: gewöhnlich; Bart: Schnurrbart; Gesichtsform: oval; Besondere Kennzeichen: linke Wange starke Narben" Beschreibung Christian Göbels 1923, gefertigt von einem offenbar gestressten Passbeamten

RückschauChristian Göbel, 1876 in Karlsbrunn geboren, stammt aus einer alten Warndt-Familie; der Urahn kam um 1580 als Glasmacher in die Region. Göbel wird Kaufmann, betreibt erst einen Tabakgroßhandel, später einen Holzhandel. 1911 heiratet er die sechs Jahre jüngere Karlsbrunnerin Katharina Lorang; das Paar hat drei Söhne. 1923 beginnt Göbel mit dem Bau des Tannenhofs; 1925 ist das Haus fertig. 1927 stirbt Göbel an den Folgen eines Reitunfalls. 1935 wandelt seine Witwe das Wohnhaus um in eine Gaststätte mit Pension. Der Tannenhof, stets von den Frauen der Familie geführt, wird beliebtes Ausflugslokal, bis er 2001 - nach dem Tod der Erbauer-Enkelin Christel Riemann - schließt. Ihr Witwer Wilhelm Riemann lebt bis zu seinem Tod 2008 im Haus. Seit 2004 ist der Tannenhof ein Denkmal. dd

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