Kirchen-Architektur Bauen zum höheren Ruhme Gottes

Große Architekten haben in den Jahrzehnten nach dem Zweiten Weltkrieg im Regionalverband bedeutende Kirchen geschaffen – moderne Bauten, die von gesellschaftlichen und zugleich von liturgischen Veränderungen zeugen.

Schon in den frühen 50er Jahren zeichnete sich ab, dass das Saarland eine ganze Reihe bedeutender moderner Sakralbauten hervorbringen würde. Die Kölner Architektenfamilie Böhm (Vater Dominikus und Sohn Gottfried) hatte eine rheinisch-katholische, moderne Kirchen-Architektur geprägt und auch in das Saarland gebracht, die hier nach dem Zweiten Weltkrieg mit der saarländischen Orientierung an Frankreich zusammentraf.

War es zunächst die Zusammenarbeit deutscher Architekten mit französischen Künstlern in der Nachkriegszeit, die eine neue Ästhetik formte, ergab sich bald durch die Siedlungs- und Industrialisierungsschübe im Saarland eine Fülle neuer Bauaufgaben: Über 100 moderne Kirchen wurden im Saarland gebaut. Die drei Jahrzehnte nach Ende des Zweiten Weltkriegs gelten als goldenes Zeitalter des modernen Kirchenbaus; Kriegszerstörungen und Bevölkerungsverschiebungen machten eine große Zahl von Neubauten möglich. Die nach dem Krieg errichteten Notkirchen nach Entwurf von Otto Bartning waren schnell zu klein geworden.

Die beiden Titanen des katholischen Kirchenbaus der Moderne, die Kölner Kirchenarchitekten Rudolf Schwarz und Gottfried Böhm, haben bemerkenswerte Kirchen in Saarbrücken hinterlassen. Schon in den 20er Jahren hatten beide Architekten begonnen, die traditionelle Basilika-Anordnung von Kirchen zu überwinden. Als frühe Zentralbauten ohne Längsausrichtung gelten die Auferstehungskirche in Essen und St. Engelbert in Köln-Riehl.

Großen Einfluss auf die saarländische Kirchenarchitektur hatte das Zweite Vatikanische Konzil von 1965, das eine umfassende Reform der Liturgie festlegte. Sie propagiert den Volksaltar, einen freistehenden Altar, an dem der Priester den Gläubigen zugewandt ist und die Mitfeiernden sich um den Altar versammeln. „Es entspricht unserer Zeit, dass die Gläubigen sehen wollen, was am Altar geschieht, und es entspricht dem demokratischen Zug, dass der Unterschied zwischen Priestern und Laien nicht stärker betont wird.“ Der Altar sollte möglichst nah an der Gemeinde sein, am besten in ihrer Mitte. Der Gottesdienst wurde als Gemeindefeier interpretiert, und der Geistliche rückte näher zu seiner Gemeinde. Die Altäre wurden zur Gemeinde gewandt, oft in der Mitte der Gläubigen platziert, vor allem in Kirchen, in denen die Bänke von drei Seiten auf den Altar ausgerichtet sind. Plötzlich wurden auch neue, weniger gerichtete Grundrissformen möglich wie Kreis, Quadrat, Trapez oder Raute – für alles gibt es prominente Beispiele im saarländischen Kirchenbau der Moderne. Die Sinnsuche nach dem Zweiten Weltkrieg und die Ausrufung des Marienjahrs 1953 durch Papst Pius XII. hatten den Kirchenneubau zusätzlich befeuert: Als Paradebeispiel des modernen Zentralbaus im Saarland gilt die Kirche St. Albertus Magnus auf dem Saarbrücker Rodenhof von 1954. Gottfried Böhm schuf hier erstmals im Saarland einen zentralen Gemeindesaal und eine Kirche als virtuose Betonskulptur. Der eiförmige Bau wurde aus 70 000 Ziegeln der im Krieg zerstörten Vorgängerkirche gemauert. Über dem Saal thront eine Glaskuppel, die von expressiven Strebepfeilern gehalten wird. Eine tatsächlich knochenartige Skelettkonstruktion umfasst den roten Ziegelbau.

Die Kirche Maria Königin auf dem Saarbrücker Rotenbühl, gebaut nach einem Entwurf von Rudolf Schwarz und geweiht 1959, hat Fassaden aus rotbraunem Sandstein aus der Pfalz, der innen und außen roh belassen wurde. Das 80 Zentimeter dicke Mauerwerk verleiht dem Gotteshaus seine monumentale Wirkung. Da wegen der Hanglage eine Krypta unter den Kirchenraum geschoben werden konnte, ist die Kirche auf ihrer Westseite fünf Meter höher. Das sichtbare Traggerüst mit mächtigen Pfeilern aus Stahlbeton bildet weit geschwungene Betonrahmen mit riesigen, parabelförmigen Fenstern darin, die wie Blütenkelche wirken. Der symmetrische Grundriss der Kirche wird aus zwei sich kreuzenden Ellipsen gebildet. Die mächtigen Fenster brechen die burghafte Schwere. Die archaische Strenge und feierliche Einfachheit mancher Kirchen trifft hier auf die Beschwingtheit der 50er Jahre, der Nierentisch-Ära. Eine Form einer Parabel, die den ganzen Kirchenraum umfasst, hatte Rudolf Schwarz schon bei der Heilig-Kreuz-Kirche in Bottrop 1957 ausprobiert.

Das Pendant zum Saarbrücker Meisterwerk von Schwarz ist die Kirche St. Hildegard in Sulzbach-Neuweiler, die 1957 nach einem Entwurf von Gottfried Böhm fertiggestellt wurde. Auch sie liegt auf einem Hang und spielt mit den neuen geometrischen Möglichkeiten der Liturgiereform und mit konkaven und konvexen Formen. Wie bei Schwarz auch erscheint die Kirche von der Straße aus, von der aus ihre gebogene Chorwand zu sehen ist, recht monumental. Die Decke aus weit gespannten Stahlbetonrahmen ruht auf v-förmigen Stützen. Der trapezförmige Saal hat enger werdende Seitenwände, die so eine besondere Perspektive zum Altar erzeugen. Die Raumhöhe steigt vom niedrigen Eingang bis zur konkaven Altarwand aus rotem Naturstein hin dramatisch an. Was bei Böhm bisweilen verschwurbelt getöpfert wirkt, bekam bei Schwarz durch ein Quantum katholischer Strenge einen ungleich klareren und damit wirkungsvolleren Ausdruck.

Als der berühmteste Architekt des 20. Jahrhunderts, Le Corbusier, mit dem Kloster La Tourette bei Lyon 1960 den wichtigsten Bau des Brutalismus schuf, begann auch im Saarland eine neue Ära im Kirchenbau: Der unverkleidete Sichtbeton, der béton brut, prägte die zahlreichen Betonkirchen, die im Saarland gebaut wurden.

 Die Kirchen der 60er Jahre haben es heute schwer, denn weder steht ihre raue, nackte Architektur hoch im Kurs, noch haben sich die Kirchen dieser Zeit bautechnisch gut gehalten. Die Bistümer Speyer und Trier, die als Bauherren den Kirchenbau der Moderne im Saarland prägten und prägen, ließen sich in dieser Ära mehrmals auf „Nur-Dach“-Kirchen ein, die wie Zelte oder Kuppeln wirken und bei denen zwischen Wand und Dach nicht mehr zu unterscheiden ist.

Die ehemalige Kirche St. Antonius in Völklingen, entworfen von Konrad Schmitz 1965, ist ein gutes Beispiel für eine Dach-Architektur und hat eine tragische Geschichte. Die Kirche hatte einen Vorgängerbau, der im Zweiten Weltkrieg beschädigt worden, aber bis 1950 wiederaufgebaut worden war. Allerdings musste er 1965 dem Bau der Autobahn 620 weichen. Der halb im Boden versunkene Neubau von Schmitz wurde über einem rautenförmigen Grundriss errichtet. Die tragenden Wände bestehen aus schrägen Lagen von alternierend versetzten Betonformsteinen. Ein Raster aus kleinen Fenstern mit matten Glasscheiben schließt die zahlreichen Zwischenräume. Licht wird durch die zweischalige Fassade umgelenkt. Den höchsten Punkt des Zeltdachs aus Kupfer bildet die Ecke des Chores. Die architektonische Ambition hinter dem Entwurf konnte die St. Antonius-Kirche nicht retten: Seit Ende 2009 ist die Kirche wegen Baufälligkeit geschlossen, wurde profaniert und steht zum Verkauf.

Die Kirche Maria Königin in Obersalbach-Kurhof wurde von Peter Alt entworfen und 1998 geweiht, als die Postmoderne ihren Höhepunkt erlebte. Unter der alten Kirche in Obersalbach traten als Folge des Kohle-Abbaus starke Schäden auf, und sie musste abgerissen werden. Der Neubau einer Kirche war notwendig geworden. Der neue Solitär ohne Kirchturm hat eine Kreuzform. Der Bau mit quadratischem Grundriss ist nach Osten orientiert. Das Dach hat die Form von zwei sich kreuzenden Tonnengewölben. Die Atmosphäre im Innenraum wird von Holz, Ziegel-Mauerwerk und natürlichem Licht geprägt. Innen liegt ein gedeckter „Kreuzgang” als hölzerne Galerie. Die Dachlaterne im Gewölbescheitel belichtet das Zentrum mit dem Altar. Die Fassaden sind portalartig, mit buntverglastem, halbrundem Fenster.

Das Dach besteht aus einer Holzbinderkonstruktion, die außen mit patiniertem Kupferblech gedeckt wurde. Die Liebe zum einfachen Typus und zur primären Geometrie trifft sich in der Dorfkirche von Obersalbach mit der neuen Raumauffassung einer Kirche als zentralem Raum in einem kurzen, stämmigen und durchaus kraftvollen Rendezvous.

Der gelungenste Kirchenneubau im Saarland der letzten 20 Jahre ist das Gemeindezentrum Herz Jesu in Völklingen-Ludweiler, das nach einem Entwurf von „Lamott + Lamott Architekten“ aus Stuttgart gebaut und im Jahr 2000 geweiht wurde. Auch dieser Kirchenneubau verdankt sich einem Grubenschaden. Eine Setzung hatte die Kirche Herz Jesu so stark in Mitleidenschaft gezogen, dass sie abgerissen werden musste. Der geschmackvolle Neubau hat durch Einfachheit geprägte Räume und beschreibt eine dramaturgisch interessante „promenade architecturale“. Die Kirche wird vom Platz aus durch ein Portal in einer strengen Wandscheibe erschlossen. Die schirmartige Wand wird über den Andachtsraum hinausgeführt zum Glockenturm. Besucher gelangen erst nach dem Überschreiten eines flachen Bassins in den quadratischen Andachtsraum. Die Herz-Jesu-Kirche zeigt, wie gute, junge Architekten auch in unserer Zeit mit einfachen Mitteln architektonische Funken schlagen können, aber auch, dass ohne Bergschäden kaum ein Budget für einen Kirchenneubau im Saarland in Sicht ist.

Zu Beginn des 21. Jahrhunderts werden in ganz Deutschland nur noch wenige Kirchen neu errichtet, Moscheen und Synagogen dagegen durchaus. Es ist ein interessantes Detail, dass mit der Synagoge Saarbrücken von Heinrich Sievers 1951 ein jüdischer Tempel der erste Sakralbau der Nachkriegszeit war. Der Bevollmächtigte der französischen Regierung im Saarland, Gilbert Grandval, wollte so früh wie möglich der 1946 neu gegründeten jüdischen Gemeinde eine neue Synagoge bauen lassen. Der Saarbrücker Tempel ist die früheste Nachkriegssynagoge auf dem Gebiet des heutigen Deutschlands. Städtebaulich prominent, aber architektonisch konservativ fügt er sich diskret in die Platzwand am Beethovenplatz ein.

Der wirtschaftliche und demografische Strukturwandel und die weitverbreitete Abkehr vom christlichen Glauben haben vielerorts zu Umnutzungen von Kirchen geführt, zu Schließungen und sogar Abrissen. Es gibt aber auch gelungene Beispiele für die (teilweise) Umnutzung und Neu-Programmierung von Kirchen der ungeliebten Nachkriegszeit. Die Kirche St. Bonifatius in Dudweiler beispielsweise, die nach einem Entwurf von Hans Schick gebaut und 1957 geweiht wurde, hat Bettina Berwanger 2015 geschickt umgebaut: Die kubische Kirche mit ihren charakteristischen Doppeltürmen wird als Kindergarten genutzt. Berwanger hat in die Kirche eine Kindertagesstätte in Holzmassivbauweise integriert.

Auch wenn es nirgendwo in Deutschland, auch nicht im Saarland, eine florierende Sakralarchitektur-Szene gibt (das ist in Nordeuropa durchaus anders), ist der Kirchenbau dennoch auch hierzulande nicht zum Erliegen gekommen.

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